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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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beharrte Erik. »Schließlich beherrschen wir die Welt!«
    »Deine Nazi-Freunde haben keine Ahnung von Geschichte«, erwiderte Walter. »Die alten Ägypter haben die Pyramiden gebaut, als die Deutschen noch in Höhlen hausten, und die Araber waren im Mittelalter die Herrscher der Welt. Sie kannten die Algebra,als die deutschen Fürsten noch nicht mal ihre Namen schreiben konnten. Das hat nichts mit Rasse zu tun.«
    Carla runzelte die Stirn und fragte: »Womit dann?«
    Walter blickte sie liebevoll an. »Das ist eine sehr gute Frage, und du bist ein kluges Mädchen, dass du sie stellst.« Carla strahlte vor Stolz. »Weltreiche entstehen und vergehen. Bei den Römern war es so, bei den Azteken und bei den Chinesen. Warum das so ist, weiß niemand.«
    »Esst, und dann zieht eure Mäntel an«, sagte Maud. »Es ist schon spät.«
    Walter zog die Uhr aus der Westentasche, warf einen Blick darauf und hob die Augenbrauen. »So spät ist es doch gar nicht.«
    »Ich muss Carla zu den Francks bringen«, sagte Maud. »Die Mädchenschule ist heute wegen irgendwelcher Reparaturen geschlossen. Carla wird heute bei Frieda bleiben.«
    Frieda Franck und Carla waren die besten Freundinnen. Gleiches galt für ihre Mütter. Monika, Friedas Mutter, und Maud waren als junge Mädchen in Walter verliebt gewesen. Friedas Großmutter hatte diese »saukomische« Tatsache einmal nach zu reichlichem Sektgenuss enthüllt.
    »Warum kann Ada sich nicht um Carla kümmern?«, fragte Walter.
    »Sie hat einen Arzttermin.«
    »Aha.«
    Carla erwartete, dass Vater sich erkundigte, was Ada fehle, aber er nickte nur, als wüsste er es bereits. Dann steckte er seine Uhr weg und verließ in seinem langen schwarzen Mantel als Erster das Haus. Rasch setzte Erik seine Kappe auf, schob sie weit in den Nacken – so war es bei ihm und seinen Freunden derzeit Mode – und folgte seinem Vater zur Tür hinaus.
    Carla und Maud halfen Ada, den Tisch abzuräumen. Carla liebte die Zofe von Herzen. Bis zu ihrer Einschulung hatte Ada sich fast den ganzen Tag um sie gekümmert, denn Maud war damals schon berufstätig gewesen. Obwohl neunundzwanzig, war Ada noch ledig. Sie war ziemlich unscheinbar, hatte aber ein hübsches, freundliches Lächeln. Letzten Sommer hatte sie eine Romanze mit einem Polizeibeamten gehabt, Paul Huber, aber es war nichts von Dauer gewesen.
    Carla und Maud standen vor dem Spiegel im Flur und setzten ihre Hüte auf. Maud wählte einen Hut mit dunkelblauem Pelz, rundem Kopfteil und schmalem Rand, wie ihn heutzutage alle Frauen trugen, aber sie zog ihn so kess zur Seite, dass er richtig schick aussah, wie Carla fand. Als sie ihre Strickkappe aufsetzte, fragte sie sich, ob sie je so viel Klasse wie ihre Mutter haben würde. Mauds langer, schlanker Hals, das Kinn und die Wangenknochen waren wie aus weißem Marmor gemeißelt. In Carlas Augen sah sie wie die Statue einer Göttin aus. Carla besaß zwar das dunkle Haar und die grünen Augen Mauds, war aber keine schlanke, statuenhafte Schönheit, sondern eher pummelig. Seufzend dachte Carla an eine Bemerkung ihrer Großmutter, die einmal zu Maud gesagt hatte: »Dein hässliches Entlein wird sich in einen Schwan verwandeln, du wirst schon sehen.« Leider wartete Carla immer noch auf die Verwandlung.
    Als Maud fertig war, gingen Mutter und Tochter hinaus. Ihr Haus stand in einer Reihe mit anderen großen, eleganten Stadthäusern im Bezirk Mitte, dem alten Stadtzentrum Berlins. Ursprünglich waren die Häuser für hochrangige Staatsbeamte und Offiziere wie Carlas Großvater gebaut worden, die in den Amtsgebäuden in der Nähe gearbeitet hatten.
    Maud und Carla fuhren mit der Straßenbahn die Straße Unter den Linden entlang und nahmen dann die S-Bahn von der Station Friedrichstraße bis zum Bahnhof Zoo. Die Francks wohnten in Schöneberg, einer der Vorstädte im Südwesten Berlins. Carla hoffte, Friedas Bruder Werner zu sehen; denn sie mochte ihn sehr. Manchmal malten sie und Frieda sich aus, wie es wäre, den Bruder der jeweils anderen zu heiraten, nebeneinander zu wohnen und ihren Kindern beim Spielen zuzuschauen. Für Frieda war es nur ein Spaß, doch Carla meinte es insgeheim ernst. Werner sah umwerfend aus und war mit seinen vierzehn Jahren fast schon erwachsen. Vor allem war er kein Trottel wie Erik. Von einem solchen Mann träumte Carla. Nicht von ungefähr hießen die Eltern in ihrem Puppenhaus, die nebeneinander im Miniaturbett schliefen, Carla und Werner. Aber das wusste niemand, nicht einmal

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