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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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noch nie gehabt.
    6
    Als ich noch ganz klein war, hat mir mein Vater von einem Mann namens William Shakespeare erzählt, der sich Tausen de von Wörtern ausgedacht habe, und zum Beweis zog er die Theaterstücke dieses Mannes aus dem Regal - J ulius Caesar, Cymbeline und König Richard II. - und zeigte mir das Kleingedruckte am Fuß der Seiten, wo diese Wörter und ihre Bedeutung standen. Im Rahmen meiner Erziehung ließ er mich mit seinem Füller Listen mit Shakespeares Wörtern erstellen, jeden Tag ein paar neue, und wenn sich diese Wörter mit dem Geruch der Tinte in meinem Kopf festsetzten und ich sie im Alltag benutzte, freute sich mein Vater im Stillen und lächelte breit hinter seinem Buch hervor, während am Ofen seine Socken trockneten. So vergrößerte ich meinen Wortschatz jede Woche um zirka zwanzig elisabethanische Wörter, die den langen Weg aus dem 16. Jahrhundert zurückgelegt hatten, um in meinem Mund und meiner Hand zu liegen, wenn ich sie zusammen mit den Erläuterungen buchstabierte. Mir fiel die Ausbeute eines bestimmten Tages ein: blutdurchsiebt hieß voller Blut, bestoben hieß voller Schmutz.
    Ich lese mehr, als ich schreibe, doch wenn nötig, kann ich auch einen Satz zusammenfügen. So viele Jahre später, mit ein undfünfzig Jahren, nahm ich nun also ein großes Blatt Papier, klebte es mit einem zweiten zusammen, breitete es im letzten Sonnenlicht der Hütte auf dem Fußboden aus und kniete mit einem schwarzen Leuchtstift davor nieder. Warum ich das tat, weiß ich nicht, und das, was ich damit erreichen wollte, blieb ein ferner, lästiger Fleck am Horizont. Doch ich setzte die ers ten Zeilen auf, die ich - abgesehen von meiner Unterschrift oder einer Adresse - seit langem zu Papier gebracht hatte, schrieb in Großbuchstaben die Worte HUND ERSCHOSSEN, darunter in kleineren Buchstaben: »Am 30. Oktober zwischen den Wallagrass Lakes und dem McLean Mountain, Belohnung für jeden Hinweis«, und gab schließlich als Adresse mein Postfach an, wo ich einmal wöchentlich, im Winter manchmal auch nur alle zwei bis drei Wochen, meine Post abholte.
    Stimmt schon, ich setzte diese Worte am Ofen auf, als Hob bes schon unter der Erde lag und durch Buchstaben nicht mehr zu retten war, und ich kann nicht erklären, warum ich das überhaupt tat, doch ich glaube, das, was an jenem Morgen hinter mir zur Tür hereingekrochen war, brachte mich dazu, oder vielleicht war es auch Shakespeare gewesen, der mich zu dem Plakat inspirierte. Eins von beiden.
    Ich ließ den Pick-up warm laufen und brach mit der Be kanntmachung auf, erreichte bald die gut ausgebaute Straße am St. John River und fuhr von da nach Fort Kent, wo ich das Plakat vor dem Supermarkt aufhängte. Ich klebte es richtig fest, damit es dem Wind standhielt, und schlug mit einem flachen Stein, den ich in der Manteltasche aus dem Wald mitgebracht hatte, vorsichtshalber noch einen Nagel ein. Es war früher Nachmittag, und ich kaufte im Supermarkt Brot, Milch, Streichhölzer und Gemüse ein, setzte mich dann ins Cafe, weil ich Lust auf schwarzen Kaffee hatte und gern im Warmen, Hellen sitzen, mal etwas anderes zu Gesicht bekommen und andere Stimmen hören wollte, denn wegen Hobbes und allem lastete die Hütte zu schwer auf meinem Gemüt. Der dunkle, feuchte Wald war manchmal ein eigenständiges Wesen.
    Ich legte meine Handschuhe auf den Tisch und beugte leicht den Kopf, als die Kellnerin mit ihrem Notizblock zu mir kam. Das kannte sie schon von mir, und sie lächelte.
    Was darf ich Ihnen bringen?, fragte sie.
    Ich saß dort zwanzig Minuten, ließ mir den Kaffee schme cken und genoss, wie der Dampf meine Stirn wärmte, aber dann sickerte die Dunkelheit in die Straßen, und es war Zeit zurückzufahren. Ich verabschiedete mich von der Kellnerin, ging am Supermarkt vorbei und warf einen Blick hinüber, um zu sehen, ob das Plakat noch flach an der Wand klebte. Ich blieb stehen und ging näher heran.
    Um die Worte »Hund erschossen« hatte jemand einen Kringel gezogen, in dem in kleinen Buchstaben »Mach's gut, Hund« stand, gefolgt von mehreren Ausrufezeichen, einem Satzzeichen, über das sich mein Vater oft beschwert hatte, weil es kraftlosen Worten als Krücke diente. Ich las weiter. Dar unter stand geschrieben: »Was soll's, ein Hund weniger. Reg dich ab«, gefolgt von weiteren Ausrufezeichen. Ich starrte das Plakat einen Augenblick an, während die Leute einen Bogen um mich machten und mir jede Menge Platz ließen, dann riss ich es ab, rollte es zusammen und

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