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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Vaters. Ich stieß auf Bücher, die Menschen geschrieben hatten, die ich als Kind getroffen hatte, etwa auf ein mehrbändiges Werk von Prokop Drtina, mit dem wir im Krieg in London ein Mietshaus bewohnt hatten. In einem seiner Bücher war eine Seite an der Ecke umgeknickt, um die Stelle zu markieren. Ich erfuhr kurz darauf, dass unser ehemaliger Nachbar auf die Idee gekommen war, die Beschreibung eines kleinen Mädchens namens Madlenka einzufügen – das erste Mal, dass jemand etwas über mich geschrieben hatte. Außer meiner Mutter konnte niemand die Stelle markiert haben.
    In den letzten Jahren habe ich an der Georgetown University einen Kurs mit dem Titel »Die Instrumente der nationalen Sicherheit« gehalten. Ich fand einen Artikel, den mein Vater vier Jahrzehnte zuvor geschrieben hatte – ein Werk, von dessen Existenz ich nie gewusst hatte –, mit der Überschrift: »Die Instrumente der Außenpolitik«. In einem anderen Ordner fand sich ein Stapel mit gut 120 Seiten, fein säuberlich getippt und in Kapitel unterteilt. Mein Vater hatte mir einmal anvertraut, dass er versuche, einen Roman zu schreiben. Ich fragte: »Worüber?« Er antwortete: »Ein Mann kehrt am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Tschechoslowakei zurück.« Das musste es sein. Eifrig vertiefte ich mich in den Text. Wenig später hatte ich Tränen in den Augen. Auf den folgenden Seiten werde ich meinen Vater immer wieder zu Wort kommen lassen.
    Und meine Mutter ebenfalls. Im Jahr 1977, kurz nach dem Tod meines Vaters, hatte sie einen elfseitigen Brief geschrieben, der die einzigen Informationen aus erster Hand über die dramatischen Momente im Leben meiner Eltern enthält, die ich besitze – nicht
zuletzt über die Flucht aus Prag nach der deutschen Invasion. Einige Wochen lang suchte ich nach dem Essay, konnte ihn aber nicht finden. Ich fragte meine Geschwister, ob sie vielleicht eine Idee hätten, wo er sein könnte: vergebens. Ich stellte mein Arbeitszimmer auf den Kopf und durchsuchte wohl zum zehnten Mal meinen Schreibtisch. Dort entdeckte ich in der Schublade mit den Unterlagen, die mir am meisten am Herz lagen, das Schreiben meiner Mutter, ein wenig zerknittert und an den Rand gerutscht. Ich glättete die vergilbten Seiten und fing an zu lesen:
    Auf einem hohen Hügel in der Nähe von Denver liegt ein kleiner Friedhof, und dort befindet sich an der Wand eines Mausoleums ein Namensschild: Josef Korbel 1909–1977. Eines Tages wird sich womöglich jemand fragen, wer dieser Mann mit dem ungewöhnlich geschriebenen Namen war und warum er auf diesem Hügel in Colorado begraben wurde.
    Ich möchte gerne ein paar Worte über ihn schreiben, weil sein Leben noch ungewöhnlicher war als sein Name. Er ist auf dem Hügel begraben, weil er die Natur liebte, weil er gerne angeln ging, weil er in Colorado nach einem erfüllten Leben, während dessen er in unterschiedlichen Ländern in verschiedenen Berufen tätig war, viele glückliche Jahre verbrachte. Er sagte oft: »Ich war in vielen prächtigen Berufen tätig, aber College-Professor in einem freien Land zu sein, war das, was mir am besten gefallen hat.«
    Joe wurde in der Tschechoslowakei in einer kleinen Stadt geboren, wo sein Vater damals ein kleines Geschäft für Baumaterial hatte. In diesem Ort gab es nicht einmal eine weiterführende Schule, und deshalb musste er im Alter von zwölf Jahren in einer Nachbarstadt wohnen. An dieser Schule lernten wir uns kennen und verliebten uns … 2
    Das war die Kurzfassung: der Anfang der Geschichte und das Ende. Aber es gab mit Sicherheit, noch mehr zu erfahren über all das, was sich zwischen dem Gymnasium und dem Hügel in Colorado ereignet hatte.
    Josef und Mandula Korbel
    M anche Menschen streben nach Erleuchtung, indem sie still sitzen und sich auf ihr Inneres konzentrieren. Ich buche einen Flug. An einem Samstagmorgen im September 2010 klingelte ich an einer bescheidenen Wohnung in London. Es handelte sich um das Mietshaus, in dem ich die ersten Tage des Zweiten Weltkriegs verbracht hatte. Auf mein Klingeln öffnete Isobel Alicia Czarska, eine bezaubernde Frau, die mir selbst mitten in den Vorbereitungen für einen Ausflug einen raschen Durchgang durch die Wohnung gestattete. Zum ersten Mal seit fast siebzig Jahren ging ich die Stufen zum Keller hinunter, wo ich einst vor den Bomben der deutschen Luftwaffe Schutz gesucht hatte. Isobel erklärte, dass das Kellergeschoss nie renoviert worden sei – das erkannte ich sofort, als ich die Decke

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