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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørn Lier Horst
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und hatte viele Jahre lang mit jungen alleinstehenden Asylbewerbern gearbeitet. In den letzten Jahren hatte sich der Job immer mehr in Richtung Verwaltungsarbeit verlagert, und jetzt saß sie in einem Büro und hatte keinen Kontakt mehr zu den Kindern und Jugendlichen, denen sie helfen wollte.
    »Wie soll es heißen?«, fragte er und stellte das Glas ab, ohne getrunken zu haben.
    »Was meinst du?«
    »Wenn du davon träumst, ein Café zu eröffnen, hast du doch sicher über einen Namen nachgedacht.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nicht unbedingt Shazam Station, nehme ich an?«
    Sie lächelte. »Das ist doch eigentlich ein lustiger Name.«
    »Findest du?«
    » Shazam ist ein Zauberwort. Persisch. Wir sagen Sesam. Sesam öffne dich.«
    »Sesam Station?«
    Sie lachte. Von den Augen und den Mundwinkeln lief ein feines Netz von Fältchen über Schläfen und Wangen. Es verlieh ihr einen ganz eigenartigen, strahlenden Blick.
    Wisting griff nach dem Weinglas, aber noch ehe seine Hand es erreichte, klingelte das Telefon. Auf dem Display erschien das Wort Opera, die interne Abkürzung für die operative Zentrale der Polizei.
    Er meldete sich kurz angebunden. Der Diensthabende am anderen Ende präsentierte sich ebenso knapp.
    »In mehrere Hütten draußen auf Gusland wurde eingebrochen.«
    Wisting schwieg. Er ahnte, dass das noch nicht alles war.
    »In einer der Hütten lag ein Toter.«

3
    William Wisting schlug die Autotür hinter sich zu und zog den Jackenkragen enger zusammen.
    Auf dem schmalen Parkplatz standen zwei Streifenwagen und ein Rettungswagen, außerdem zwei Zivilfahrzeuge.
    Der Abend war kalt. Wistings Atem dampfte als feiner weißer Schleier vor seinem Gesicht. Von fern war das Rauschen der Wellen zu hören. Feuchtkalter Wind vom Meer wehte landeinwärts und trug feine Salzkörner mit sich.
    Er ging zum Ende des Parkplatzes, wo ein schmaler Fußweg in einen Niederwald hineinführte. Nach fünfzig Metern öffnete sich das Dickicht und vor ihm lag die weite Küstenlandschaft. Die kahl gefegten Dünen verschmolzen mit dem schwarzen Meer. Der Lichtstrahl des Leuchtturms auf einer der Inseln draußen wischte über Land und ließ die unruhige Wasseroberfläche glitzern.
    Weiter hinten am Strand sah er die Umrisse einer Hütte. Zwei Fenster waren schwach erleuchtet. Auf der Vorderseite des Hauses zuckten die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen durch die Dunkelheit. Dann hörte er das Geräusch eines Generators, der angeworfen wurde, und die Frontpartie der Hütte lag in Licht gebadet. Er erkannte das rot-weiße Absperrband der Polizei, das im Wind flatterte. Die Reflektorstreifen an den Polizeiuniformen blinkten und er hörte die gedämpften Geräusche von Sprechfunkgeräten, Mobiltelefonen und leisen Gesprächen. Um all das herum stand die Herbstnacht sternlos und kalt.
    Wisting senkte den Kopf vor dem heftigen Wind und ging weiter. Unzählige Male war er zu ähnlichen Fällen gerufen worden. Dennoch wurde die Begegnung mit einem Tatort nie Routine. Und er wurde nie immun gegen den Anblick von zerstörter Haut, toten Menschen, der abgrundtiefen Verzweiflung der Angehörigen. Allzu oft hatte er das Resultat sinnloser Gewalt gesehen, von Mal zu Mal brutaler und gnadenloser. Die Erinnerungen daran erfüllten ihn mit einer Schwermut, die ihn reizbar und verschlossen machte.
    Auf dem Pfad hinunter zum Tatort begegnete er zwei Rettungssanitätern. Sie kamen ihm mit leeren Händen entgegen. Ihre Gesichter waren ernst und sie grüßten nur mit einem knappen Kopfnicken, als sie an ihm vorbeigingen.
    Der Polizist, der den Einsatz vor Ort leitete, hob das Absperrband an und ließ Wisting durch. Die Eingangstür der Hütte stand offen. Teile des Türrahmens waren durch das Aufbrechen zersplittert. Im Flur gleich hinter der Tür konnte er die Beine des Toten erkennen. Robuste Stiefel mit Sandklumpen an den Sohlen.
    Er wurde kurz über den Sachstand informiert, erfuhr aber nichts anderes als fünfundzwanzig Minuten zuvor am Telefon.
    Espen Mortensen war vor ihm eingetroffen. Der junge Kriminaltechniker war gerade dabei, sich einen weißen Schutzanzug überzuziehen.
    »Kommst du mit rein?«, fragte er.
    Wisting nickte, begnügte sich aber damit, Plastikschützer über die Schuhe zu ziehen, ehe er Mortensen die Treppe hinauf folgte.
    Das Einbruchwerkzeug hatte deutliche Spuren im Bereich um das Türschloss hinterlassen. Holzsplitter standen in alle Richtungen ab und das Endstück des Türrahmens war losgerissen. Auf den Steinstufen der

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