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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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nie gegeben.
    Für Cassie war der Himmel ein Märchen für Dumme. Wie soll man einen Ort finden, an den man nicht glaubt? Das geht nicht. Wo kommt sie jetzt also hin? Was ist, wenn sie zurückkommt, mit Augen, die vor Wut Funken sprühen?
    7:3 5 Uhr: Zeit, in die Schule zu gehen und meinen Kopf abzuschalten.
    006.00
    In diesem Jahr habe ich keine Chance auf das Begabtenprogramm. Ich habe zeitgenössische Weltliteratur belegt, Sozialwissenschaf t 12 – Holocaust, Physik, Trigonometrie (zum zweiten Mal) und Mittagessen. Kein Sport, dank Dr . Parkers Zauberbrief. Neben meinem Namen steht ein Sternchen, und eine Fußnote erläutert die Situation.
    … Als ich noch ein richtiges Mädchen war, verabreichte mir meine Mutter löffelweise Luftschlösser. Auf die Uni. Harvard. Yale. Princeton. Duke. Studentin. Humanmedizin. Praktisches Jahr, Assistenzzeit, meine Güte. Sie bürstete mir das Haar und flocht Fremdwörter darin ein, webte die lateinischen Wurzeln und griechischen Herleitungen in meinen Kopf, damit mir das Anatomielernen leichter fallen würde. Mom Dr . Marrigan war wütend, als die Vertrauenslehrerin mich aus dem Begabtenprogramm ausschloss und auf die normale College-Laufbahn zurückstufte. Sie schlug vor, ich sollte später doch aufs College meines Vaters gehen, weil sie dort verpflichtet seien, mich aufzunehmen. Erlass der Studiengebühren für Kinder der Lehrkräfte, erinnerte sie uns.
    Ich war erleichtert.
    Noch am selben Abend teilte Dr . Marrigan mir mit, ich sei zu klug, um als faules Lehrerkind zu gelten. Sie ließ mich noch einmal auf eigene Kosten testen, um zu beweisen, wie hochbegabt ich sei und wie wenig mir die Schule gerecht wurde. Aber als ich dann wieder alles vermasselte, steckten sie mich zurück in die Klinik, und nach meiner Entlassung stellte ich meine eigenen Regeln auf.
    Ich habe mir oft ausgemalt, einen IQ -Test zu machen und allen zu beweisen, dass ich keine Versagerin bin. Vielleicht hätte ich ja die absolut granatenmäßige Geniepunktzahl erreicht. Dann hätte ich das Testergebnis hunderttausendmal kopiert, die Kopien bei meiner Mutter zu Hause an die Wände gekleistert, mir einen Eimer rote Farbe geholt und eine Million Mal ein fettes Ha! draufgepinselt.
    Aber die Chancen, bei so einem Test durchzurasseln, standen ziemlich gut. Eigentlich wollte ich das Ergebnis gar nicht wissen.
    Der Gong ertönt. Schüler strömen von einem Raum in den anderen. Die Lehrer binden uns an den Stühlen fest und träufeln uns Welten in die Ohren.
    Die Jalousien sind heruntergelassen und im Physikraum ist alles dunkel, damit wir einen Film über Lichtgeschwindigkeit und Schallgeschwindigkeit und irgendwelchen anderen unwichtigen Müll sehen können. In den Schatten des Saals warten Geister, geduldige blasse Schimmer. Auch die anderen können sie sehen, das weiß ich. Wir haben alle Angst, über das zu sprechen, was uns aus der Finsternis anstarrt.
    Wellen aus Physikteilchen durchwabern den Raum.
    Sie hat mich dreiunddreißig Mal angerufen.
    Ein Geist hüllt mich ein, streicht mir übers Haar und lässt mich einschlafen.
    Der Gong ertönt. Meine Klassenkameraden schnappen sich ihre Bücher und stürmen zur Tür. Ich habe den Tisch vollgesabbert.
    Mein Physiklehrer (wie heißt er noch mal?) blickt mich stirnrunzelnd an. Wenn er durch den Mund ausatmet, rieche ich seinen nächtlichen Zungenbelag und das Spiegelei, das er zum Frühstück gegessen hat. »Hast du vor, den ganzen Tag hier zu verbringen?«, fragt er.
    Ich schüttele den Kopf. Ehe er noch mal versucht, witzig zu sein, greife ich nach meinen Büchern und stehe auf. Zu schnell. Der Boden will mich vornüber nach unten ziehen, aber mein Lehrer mit Zungenbelag von letzter Nacht schaut zu, also reiße ich mich zusammen und wehe davon, mit Sternchen vor den Augen.
    1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.
20.21.22.23.24.25.26.27.28.29.30.31.32.33.
    ***
    »Wandelnde Leiche«, sagen die Jungs in den Korridoren.
    »Wie macht sie das nur?«, flüstern die Mädchen auf der Toilette von Kabine zu Kabine.
    Ich bin dieses Mädchen.
    Ich bin die Lücke zwischen meinen Schenkeln, durch die Tageslicht scheint.
    Ich bin die Bibliotheksaushilfskraft, die sich in Fantasybücher flüchtet.
    Ich bin die Zirkusattraktion unter einer Schicht aus Bienenwachs.
    Ich bin die Knochen, die sie alle wollen, aufgefädelt zu einem Gerippe aus Porzellan.
    Wenn ich näher komme, weichen sie zurück. Die Kameras in ihren Augenhöhlen filmen den Pickel an meinem Kinn, den

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