Wintermond
Gang ein. »Die QuartermassRanch, ganz hoch bis zum Haupthaus?«
»Genau.«
Der Schneepflug machte einen Satz und rollte dann glatt vorwärts. Die Stahlschaufel erzeugte ein kaltes, schepperndes Geräusch, während sie über den Asphaltbelag scharrte. Die Vibrationen glitten durch den Rahmen und den Boden des Führerhäuschens hinauf bis in Jacks Knochen.
Waffenlos. Mit dem Rücken zur Tür der Hintertreppe. Durch den Rauch an der vorderen Tür war Feuer zu sehen. Schnee an den Fenstern. Kalter Schnee. Ein Ausweg. Sicherheit. Spring durchs Fenster, keine Zeit, es zu öffnen, spring einfach hinaus, auf das Dach der Veranda, roll dich auf den Rasen ab. Gefährlich. Könnte aber funktionieren. Einmal abgesehen davon, daß sie es nicht zum Fenster schaffen würden, ohne vorher zu Boden gezogen zu werden. Die vulkanische Klangeruption aus dem Radio war ohrenbetäubend. Heather konnte nicht denken. Der Retriever erzitterte neben ihr, schnaubte und schnappte nach den dämonischen Gestalten, die sie bedrohten, obwohl er genausogut wie sie wußte, daß er sie nicht retten konnte. Als sie gesehen hatte, wie der Geber den Hund packte und zur Seite warf, um sich dann Toby zu greifen, hatte Heather den .38er in ihrer Hand gefunden, ohne sich zu erinnern, ihn gezogen zu haben. Gleichzeitig hatte sie, ebenfalls ohne es mitzubekommen, den Benzinkanister fallen lassen; nun stand er auf der anderen Seite des Zimmers, außerhalb ihrer Reichweite. Benzin wäre sowieso nicht die Lösung gewesen. Eins der Geschöpfe brannte bereits, ohne sich aufhalten zu lassen. Körper sind. Eduardos brennende Leiche bestand nur noch aus verkohlten Knochen und blasenschlagendem Fett. Die Kleidung und das Haar waren zu Asche zerfallen. Und von dem Geber war kaum noch so viel übrig, daß er die Knochen zusammenhalten konnte. Trotzdem näherte die makabre Zusammenfügung sich ihr weiterhin. Solange anscheinend auch nur ein Bruchstück des Körpers des Außerirdischen lebte, konnte sein Bewußtsein Einfluß auf diesen letzten zitternden Fleischklumpen nehmen.
Wahnsinn. Chaos.
Der Geber war das Chaos, die Verkörperung von Bedeutungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Boshaftigkeit, Wahnsinn. Fleischgewordenes Chaos, wahnsinnig und so fremd, daß man es einfach nicht verstehen konnte. Weil es nichts zu verstehen gab. Das nahm sie jetzt von ihm an. Sein Dasein hatte außer der Existenz keinen Sinn. Er lebte nur, um zu leben, Keine Bestrebungen . Keine Bedeutung, vom Haß einmal abgesehen. Getrieben vorn Drang, zu werden und zu vernichten, das Chaos hinter sich zurückzulassen.
Ein Windzug drängte mehr Rauch in das Zimmer. Der Hund gab ein trockenes Geräusch von sich, und hinter ihr hustete Toby. »Zieh die Jacke über die Nase«, sagte sie zu ihm, »atme durch deine Jacke!«
Aber was für eine Rolle spielte es schon, ob sie durch das Feuer starben - oder auf eine weniger saubere Art und Weise? Vielleicht war der Tod durch Feuer vorzuziehen. Der andere Geber, der auf dern Schlafzimmerboden zwischen den Überresten der Toten hin und her rutschte, schoß plötzlich einen gewundenen Tentakel in Heathers Richtung und umklammerte ihren Knöchel. Sie schrie. Das EduardoDing torkelte zischend näher. Hinter ihr, zwischen ihr und der Tür, rief Toby: »Ja! Meinetwegen, ja!«
Zu spät warnte sie ihn: »Nein!«
Der Fahrer des Schneepflugs hieß Harlan Moffit und wohnte mit seiner Frau Cindi und seinen Töchtern Luci und Nanci in Eagle's Roost. Seine Frau arbeitete für die Vieh-Genossenschaft, was auch immer das sein mochte. Sie wohnten schon ihr Leben lang in Montana und wollten nirgendwo anders wohnen. Doch es hatte ihnen gut gefallen, als sie vor ein paar Jahren mal Urlaub in Los Angeles gemacht hatten. Sie hatten Disneyland gesehen, die Universal Studios und einen alten, abgerissenen Obdachlosen, der an einer Straßenecke von zwei Teenagern verprügelt worden war, während sie an einer Ampel halten mußten. Dort Urlaub machen, ja; dort leben, nein. Das alles hatte er Jack irgendwie erzählt, als sie die Abzweigung zur QuartermassRanch erreichten, als fühle er sich verpflichtet, bei Jack in dieser Zeit der Not und Probleme das Gefühl zu erwecken, sich unter Freunden und Nachbarn zu befinden, ganz gleich, um welche Probleme es sich handeln mochte. Sie fuhren mit einer höheren Geschwindigkeit auf der Privatstraße, als Jack es angesichts der Höhe des Schnees, der sich in den letzten sechzehn Stunden angesammelt hatte, für möglich gehalten hätte. Harlan
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