Winternacht
dass wir Myst finden und zerstören mussten, wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich mit Grieve Kinder haben und die Familie gründen wollte, die ich selbst nie gehabt hatte.
»Die Großhöfe werden immer nur aus reinen Feen bestehen, glaub mir das. Aber das Sommerreich gehört zu den niederen Höfen, und es muss Schluss sein mit der Isolation. Lainule hat das erkannt, und obwohl sie und Wrath nicht in der Lage waren, gewisse Traditionen zu durchbrechen, konnten sie immerhin dafür sorgen, dass unser Volk in der Zukunft wachsen und gedeihen würde. Wir müssen uns an die Welt angliedern, die sich um uns herum entwickelt.«
Ein Klopfen unterbrach uns. Es war eine Dienerin Lannans. »Der Meister bittet Euch, sich zu ihm zu gesellen.« Aber ihre Miene verriet mir, dass er es anders ausgedrückt hatte.
»Mit anderen Worten, ich soll meinen Hintern in Bewegung setzen, richtig?« Ich grinste sie an, und sie lächelte zurück. Aus irgendeinem Grund war der Gedanke, Lannan aufzutischen, dass ich Winterkönigin werden sollte, wie das Tüpfelchen auf dem i. Ich wusste, dass ihm das ganz und gar nicht in den Kram passen würde.
Ich holte mir einen weiteren Kuss von Grieve ab und machte mich auf den Weg zu Lannans Arbeitszimmer. Im Haus wimmelte es nur so von Leuten, nun, da die Vampire aufgewacht waren, und einige waren bereits dabei, sich zu bewaffnen. Regina organisierte sie. Sie winkte mich zu sich.
»Wie man hört, habt ihr draußen im Wald ein kleines Abenteuer erlebt.« Sie schlenderte an einer Reihe Vampire vorbei, richtete hier einen Riemen, dort eine Waffe. Sie standen in Habachtstellung vor ihr, und ich nahm an, dass dies die Wachen waren, die die Karmesin-Königin als Ersatz für die Gefallenen geschickt hatte. »Wir hatten gehofft, uns etwas mehr engagieren zu können, aber es sind noch Schattenjäger unterwegs, und Lainules Krieger sind müde. Also schicken wir jetzt unsere hinaus.«
Ich wartete. Regina machte nie Smalltalk. Sie musste einen Grund haben, mich zu sich zu winken, und bevor ich den nicht kannte, wollte ich nichts Falsches sagen. Nach einem Moment wandte sie sich zu mir um und betrachtete mich mit ihren obsidianschwarzen Augen.
»Ich weiß bereits, was auf dich und deine Cousine wartet. Frag nicht, woher – ich habe Mittel und Wege, herauszufinden, was ich wissen muss. Ich halte es für eine gute Sache. Die Cambyra haben sich viel zu lange von allem ferngehalten. Ihr werdet den Höfen die längst überfällige Infusion Wirklichkeit verpassen. Ich weiß allerdings nicht, ob ihr der Aufgabe gewachsen seid. Ihr seid jung, obwohl manch eine Yummanii-Frau schon in jüngeren Jahren gekrönt wurde. Aber wie auch immer – der Karmesin-Hof wird eine Audienz mit euch beiden wollen, um neue Verträge und Bündnisse zu besprechen.«
Ich starrte sie an. Zum ersten Mal behandelte sie mich mit Respekt, nicht wie ein unbedeutendes Spielzeug.
»Zunge verschluckt?« Sie schenkte mir ein schelmisches Lächeln, und ihre spitzen Eckzähne blitzten.
Ich stellte fest, dass mein Herz sich ihr öffnete. Das war vielleicht keine besonders kluge Sache, aber Vampirin oder nicht – Regina war eine scharfsinnige und gewitzte Diplomatin. »Ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll, obwohl Sie wahrscheinlich recht haben, was Bündnisse angeht. Aber ob wir der Aufgabe gewachsen sind, steht wohl nicht zur Debatte; wir haben anscheinend keine Wahl. Ich hätte es mir zwar denken können – Lainule hat Andeutungen gemacht, als wir losgezogen sind, um ihren Herzstein zu holen –, aber ohne ihn wäre sie gestorben.«
»Manchmal muss man eben mit dem arbeiten, was man in die Hände bekommt.« Regina trommelte mit den Fingern auf einen hohen Beistelltisch. »Mein Bruder wartet auf dich. Ich will dich warnen – er ist nicht gerade in bester Stimmung. Provoziere ihn nicht. Er ist nicht dumm, aber manchmal etwas zu impulsiv, und wir können keine weitere Komplikation gebrauchen.« Sie sah mich prüfend an.
Ich atmete tief durch. »Wohl wahr.«
»Am besten, du kommst ihm etwas entgegen. Falls du mich brauchst – ich werde vor der Tür sein und lauschen.«
Ohne mir anmerken zu lassen, dass ihr beiläufiges Angebot mich in Angst und Schrecken versetzte, nickte ich knapp. Dann wandte ich mich um und betrat Lannans Büro. Er saß hinter dem Schreibtisch, der einst Geoffrey gehört hatte, und brütete vor sich hin. Als ich eintrat, sah er auf und blickte mich finster an.
»Du hast dir verdammt viel Zeit gelassen, um meinem
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