Winternacht
der anderen, die wir abwaschen wollten. Er seufzte tief und lehnte sich gegen die Spüle. Die Küche war arg in Mitleidenschaft gezogen worden und würde vollkommen erneuert werden müssen. Das restliche Haus war besser in Schuss und würde nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen. Er breitete die Arme aus, und ich schmiegte mich an ihn und legte meinen Kopf an seine Schulter.
»Sie war eine großartige Frau. Und sie hat sich Myst so stark widersetzt, wie sie konnte.« Er brach ab, als überlege er, was er noch sagen sollte, dann fuhr er fort: »Weißt du noch, als wir ihr an jenem Morgen auf der Suche nach dem Herzstein begegnet sind? Sie hätte uns leicht umbringen können. Aber sie hat sich zurückgehalten. Sie hat uns gewinnen lassen und uns um Erlösung gebeten, obwohl sie uns hätte töten können.«
Ich ließ den Kopf hängen. Eigentlich hatte ich das längst gewusst. Heather war sehr stark gewesen. Sie hatte gewollt, dass wir gewinnen. »Grieve … wie lange wusstest du schon, dass wir den Winterhof übernehmen sollen?«
Er zuckte mit den Achseln, ohne mich loszulassen. »Dass du eines Tages meine Königin sein würdest, wusste ich schon immer. Aber ich durfte nichts sagen, und ich war auch davon ausgegangen, dass wir über den Sommer herrschen dürfen.« Er lächelte resigniert, aber nicht unglücklich, und drehte mich in seinen Armen zu sich um. »Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. Eine längere, als wir es selbst wissen.«
»Das hat mir Ulean auch schon gesagt.«
»Ich schwöre dir, dass ich nicht mehr weiß als das, was ich dir bisher gesagt habe, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir eines Tages gemeinsam mehr herausfinden.« Er nahm ein Sahnekännchen und reichte es mir, und ich hielt es wie einen Schatz an meine Brust gedrückt. »Wir werden eine Familie haben. Wir werden Kinder haben und gemeinsam über ein Reich herrschen.«
»Zuerst müssen wir Myst finden und sie ein für alle Mal vernichten. Aber langsam fange ich an, daran zu glauben. Ich fange wirklich an zu glauben, dass … dass wir eine Zukunft haben.« Und damit hob ich das Kännchen an die Lippen, bevor ich es auf die Theke stellte.
»Oh, wir haben eine Zukunft. Die Zeit der Kämpfe ist noch nicht vorbei, aber im Augenblick haben wir die Oberhand. Und bald sind wir verheiratet, dann kann dich nicht einmal Lannan Altos mehr anrühren.«
Wir machten uns wieder an die Durchsicht der Küche. Das Haus der Schleier würde wieder auferstehen. Grieve war frei von Mysts Knechtschaft. Und ich … ich sollte Königin werden.
An unserem letzten Morgen im Haus der Schleier saßen Rhia und ich auf der Treppe zum Garten und aßen eine Kleinigkeit zu Mittag. Es war fast wie früher, nur dass nun drei Wachen in unserer Nähe warteten. Wir konnten kaum zum Klo gehen, ohne dass wir eskortiert wurden.
»So viel ist passiert.« Rhia aß ihren letzten Happen Sandwich, klopfte sich die Hände am Rock ab und zog wieder ihre Handschuhe über.
Die Schattenjäger hielten sich noch immer irgendwo verborgen. Ein paar waren gefasst worden, aber Grieve schätzte, dass zwischen sechzig und hundert entkommen waren, und wir zweifelten nicht daran, dass sie ihren Weg zu Myst gefunden hatten. Im Wohnhügel war man allerdings stets bereit, sich zu wehren, falls sie einen weiteren Angriff wagen würde, doch dort bestand ohnehin nicht die größte Gefahr.
»New Forest fühlt sich so leer an.« Ich blickte über die stille Straße. Nur wenige Einwohner waren bisher zurückgekehrt, und in jedem Viertel standen inzwischen in vielen Gärten Zu-verkaufen-Schilder. Unsere kleine Stadt veränderte sich.
»Die Leute werden schon wiederkommen. Vielleicht die von früher, vielleicht auch ganz andere. Anadey führt das Diner immer noch. Peyton sagt, sie habe gestern eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und bittet um ein Treffen mit ihr.«
Ich verzog das Gesicht. Anadey hatte uns verraten. »Und was will Peyton tun?«
»Ich weiß nicht, aber sie scheint es nicht eilig zu haben, ihre Mutter zu besuchen. Rex erholt sich ganz gut. Die Entzündung durch den Biss des Schattenjägers ist inzwischen abgeheilt, aber er wird noch ein bisschen brauchen, bis er wieder ganz genesen ist, und in seinem Bein wird immer ein Stück Muskel fehlen.« Rhia verschränkte die Arme vor der Brust. Sie blickte über den Garten. »Das alles wird mir fehlen.«
»Mir auch, aber wir können wohl wirklich nicht hierbleiben. Wenigstens bekommt das Haus mit Peyton, Luna und
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