Winterzauber
nicht antworten. Das ging ihn nichts an. Jedenfalls noch nicht. Solange nicht, bis ich wusste, was dieser verdammte Kuss überhaupt zu bedeuten hatte. Nur würde ich das leider nur herausfinden, wenn ich diesen verflixten Brief beantwortete. Wynn war ein Mistkerl. Wie sollte ich ihn denn jemals vergessen, wenn er solche Dinge tat? Wie sollte ich über Gabriel wegkommen, wenn... Ach, verdammt.
„Was wirst du jetzt machen?“, fragte Baxter, worauf ich zum zweiten Mal mit den Schultern zuckte.
Wenn ich das nur wüsste. Mein Blick fiel auf den Stern und in einem Anflug von Panik wollte ich ihn mitsamt dem Brief in den Mülleimer werfen. Im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich das niemals tun könnte. Ich sah zurück auf den Brief, den Baxter neben meinen Teller gelegt hatte.
„Scheiße!“, fluchte ich, als die Schrift plötzlich vor meinen Augen verschwamm.
Tränen. Auch das noch.
Baxters eiserner Griff verhinderte meine Flucht aus unserer Küche. Er zog mich trotz meiner heftigen Gegenwehr in seine Arme und hielt mich fest, während ich ihn, Janosch, Gott und die gesamte Welt verfluchte, dass sie mich so quälte. Mir den einen Mann wegnahm, den ich über alles geliebt hatte, und mir stattdessen einen anderen Mann in mein Leben schickte, der mich, wenn ich es zuließ, für alle Zeiten an das erinnern würde, was ich vor zwei Jahren verloren hatte.
Was ich früher oder später sowieso verloren hätte, denn ich hatte Janoschs Worte nicht vergessen und obwohl es mir nicht gefiel, er hatte Recht. Meine Beziehung zu Gabriel war schwer angeknackst gewesen. Sein überraschender Tod hatte mir nur die Entscheidung abgenommen, Gabriel zu verlassen und neu anzufangen. Dazu war ich in meiner Angst vor dem Alleinsein damals einfach nicht fähig gewesen.
Es war die gleiche Angst, die der Grund dafür war, dass sich alles in mir dagegen sperrte, Wynn auch nur den Hauch einer Chance zu geben. „Ich kann das einfach nicht. Was, wenn es nicht funktioniert? Was, wenn ich mich darauf einlasse, ihn in mein Leben lasse und am Ende wieder allein dastehe, weil...“
„So darfst du nicht denken“, unterbrach mich Janosch und nahm mein Gesicht in seine Hände, um mir mit dem Daumen die Tränen von den Wangen zu wischen. „Ja, er sieht aus wie Gabe und das wird es nicht leichter für euch machen, aber er ist deine zweite Chance. Wie viele Menschen bekommen denn so eine Gelegenheit? Lass sie dir bitte nicht durch die Lappen gehen. Lern' ihn kennen und warte ab, was passiert. Wenn es nicht funktioniert, dann soll es eben nicht sein. Aber versuch' es wenigstens. Schick' ihm den Stern zurück.“
Konnte es so leicht sein? Sollte ich Wynn einfach den Stern zurückschicken und abwarten? Ich war hin und hergerissen, weil ich mir selbst nicht über den Weg traute und den ganzen Abend ständig zwischen handeln und nichts tun schwankte. Wenn ich nichts tat, würden Janosch und Baxter mir in den Hintern treten. Wenn ich etwas tat, würde ich mit der Angst leben müssen, etwas großes Unbekanntes begonnen zu haben, das mich verletzen konnte.
Scheiße, ich war so ein Feigling.
„Hey.“
Baxter setzte sich neben mir auf die Schaukel, auf die ich mich nach dem Schneeschippen gesetzt hatte, um eine Weile meinen Gedanken nachzuhängen. Dabei war es eigentlich viel zu kalt, um sich länger draußen aufzuhalten.
„Du willst unbedingt Jano Konkurrenz machen und krank werden, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Warum kommst du dann nicht wieder rein?“
Ich zuckte mit den Schultern, worauf Baxter leise seufzte und ein Bein auf die Schaukel hochzog, um das er dann beide Arme legte.
„Ich war schon in deinen Bruder verknallt, als ihr noch gar nicht wusstet, dass es mich gibt. Ich habe sechs Häuser vor deinem und Gabes gewohnt. Allerdings hätte ich mich damals nie getraut, Jano anzusprechen. In der Woche, als Gabe bei dir eingezogen ist, war ich gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden und sah so aus wie heute.“
„Moment mal“, unterbrach ich Baxter verblüfft und sah ihn an. „Gabe und ich, das ist...“
„Über zwölf Jahre her, ich weiß.“
„Aber...“
Baxters Kopfschütteln ließ mich verstummen. „Du warst in dem Jahr mit deinem zweiten Buch groß rausgekommen. Gabe und du, ihr wart überglücklich damals, während ich mir zu der Zeit überlegte, wie ich mich am besten umbringe, denn so...“ Er deutete auf seine Narbe. „...wollte ich nicht leben. Also bin ich abends aus dem Haus, habe euch beim
Weitere Kostenlose Bücher