Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
wären sie nicht alle eingeschlafen …
Märtha setzte sich auf die Bettkante und fuhr in ihre Pantoffeln. Es war so peinlich gewesen, und Direktor Mattson hatte cholerisch herumgebrüllt. Der Wein und all die Medikamente, die ihnen tagtäglich verabreicht wurden, vertrugen sich wohl nicht allzu gut miteinander. Sie sah zum Nachttisch hinüber. Da lag der Korkenzieher, den Snille ihr »für kommende Feste« geschenkt hatte. Aber jetzt war es vorbei damit. Nach der Party hatte Schwester Barbro sie allesamt eingeschlossen. Sie durften nur hinaus, wenn jemand vom Personal dabei war. Und dann hatten sie kleine rote Pillen bekommen, »damit sie zur Ruhe kämen«. Wie langweilig es seitdem war!
Ach ja, die Tabletten. Warum stopft man alte Menschen eigentlich mit Medikamenten voll? Sie bekamen ja nahezu mehr zu schlucken als zu essen. Vielleicht waren sie davon so träge geworden? Früher hatten sie immer Karten gespielt und sich nach acht Uhr abends noch heimlich in ihren Zimmern besucht. Aber seit die Diamant GmbH die Leitung übernommen hatte, war das vorbei. Ja, jetzt lief eigentlich gar nichts mehr, und wenn sie versuchten, Karten zu spielen, dann schliefen sie entweder ein oder vergaßen, welche Karten schon gelegt waren. Stina, die Selma Lagerlöf und Heidenstam so sehr liebte, nickte schon ein, wenn sie eine Zeitschrift durchblätterte, und Anna-Greta, die gerne Hornmusik und Volkslieder auflegte, starrte den Plattenspieler nur an und kam nicht mehr hoch, um ihre Schallplatten aus dem Schrank zu holen. Snille hatte schon lange keine neue Erfindung mehr gemacht, und Kratze vernachlässigte seine Blumen. Meistens sahen sie fern, und niemand nahm sich etwas vor. Nein, irgendetwas stimmte nicht, stimmte ganz und gar nicht.
Märtha stand auf, stützte sich auf ihren Rollator und ging ins Badezimmer. Nachdenklich wusch sie sich das Gesicht und machte ihre Morgentoilette. Sie war diejenige gewesen, die sich wehren wollte. Sie wollte doch auf die Barrikaden gehen! Aber jetzt schlurfte sie hier herum, saft- und kraftlos. Sie betrachtete sich im Spiegel und stellte fest, dass sie mitgenommen aussah. Ihr Teint war fahl, und die weißen Haare standen in alle Richtungen ab. Seufzend reckte sie sich nach der Bürste und stieß dabei an die Dose mit den roten Tabletten. Sie fielen herunter, rollten über die Badezimmerfliesen und blieben wie kleine bösartige Punkte vor ihren Füßen liegen. Märtha hatte nicht die geringste Lust, sie aufzusammeln. Sie schnaubte, und mit mehreren energischen Fußtritten beförderte sie sie allesamt in den Abfluss.
Ihre anderen Pillen nahm sie auch unter die Lupe und sortierte einige aus, und ein paar Tage später fühlte sie sich schon wesentlich vitaler. Sie nahm sich wieder den Stapel schauriger Mordgeschichten vor, die auf ihrem Nachttisch lagen, denn sie war eine leidenschaftliche Krimileserin. Und sie begann wieder mit ihrer Strickarbeit. Die Lust auf Revolution kehrte zurück.
Als Snille das Klopfen hörte, war ihm klar, dass es nur Märtha sein konnte. Drei energische Schläge in der Nähe des Türgriffs und dann Pause. Sicher war sie das. Lächelnd mühte er sich vom Sofa hoch und zog den Pullover über die Wölbung seines Bauches. Es war schon lange her, dass sie ihn besucht hatte, und er hatte sich gewundert. Jeden Tag hatte auch er sie am Abend besuchen wollen, doch dann war er vor dem Fernseher eingeschlafen. Er sah sich nach einem Karton um und packte auf die Schnelle den Stapel mit Zeichnungen, Meißeln und Schrauben vom Couchtisch hinein und schob ihn unter sein Bett. Zwei blaue Oberhemden und ein paar löchrige Socken versteckte er hinter den Sofakissen, und die Brotkrümel fegte er auf den Boden. Als er fertig war, schaltete er den Fernseher aus und öffnete die Tür.
»Ach, du bist es, komm herein!«
»Snille, es gibt etwas zu besprechen«, sagte sie und kam mit großen Schritten auf ihn zu.
Er nickte und stellte den Wasserkocher an. Im Küchenschrank stieß er auf zwei Platinen, einen Hammer und ein paar Kabel, erst dahinter standen zwei Tassen und der Instantkaffee. Als das Wasser kochte, goss er es in die Becher und streute das Kaffeepulver darüber.
»Ich habe leider keine Kekse, aber …«
»Ist schon gut«, sagte Märtha, griff nach der Kaffeetasse und ließ sich auf dem Sofa nieder. »Weißt du was? Das ist nicht normal. Ich glaube, die stellen uns mit Medikamenten ruhig. Wir bekommen viel zu viele Pillen. Und deshalb sind wir alle so tranig.«
»Wie
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