Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
über die Pillen. Woraufhin diese auf der Stelle verschwanden.
Ein paar Tage später erklang aus dem Saal Geschwätz und lautes Lachen. Snille und Kratze machten ein Brettspiel, Stina malte ein Aquarell, Anna-Greta hörte ihre Musik und legte eine ihrer geliebten Patiencen.
»Patiencen sind gut, um die grauen Zellen auf Trab zu halten«, zwitscherte Anna-Greta und legte die Karten vor sich auf den Tisch. Sie nahm es damit sehr genau, schummelte nie und teilte jedes Mal allen mit, wenn die Patience aufgegangen war. Mit ihrem länglichen Gesicht und dem Knoten sah sie aus wie eine Lehrerin aus dem neunzehnten Jahrhundert, obwohl sie eigentlich gelernte Bankkauffrau war. Im Kopfrechnen war sie besonders gut, und das betonte sie voller Stolz. Und mit klugen Aktienspekulationen war sie reich geworden. Als sich das Personal im Altersheim angeboten hatte, ihre Bankgeschäfte für sie zu regeln, hatte sich ihr Gesicht derart verfinstert, dass nie wieder jemand zu fragen gewagt hatte. Sie war im Stadtteil Djurgården aufgewachsen, da kannte man den Wert des Geldes. Und in der Schule war sie immer die Beste in Mathematik gewesen. Märtha schaute sie von der Seite an und fragte sich, ob es wohl möglich sei, eine so korrekte Person zu ihrem kleinen Abenteuer zu überreden. Denn jetzt war es beschlossene Sache. Snille und sie hatten einen Plan gemacht und warteten nur noch auf die passende Gelegenheit.
Die Tage ohne Schwester Barbro waren die Ruhe vor dem Sturm. Oberflächlich betrachtet, schien alles wie immer, doch hinter der Fassade tat sich einiges. Die fünf sangen Froh wie der Vogel und den ersten Satz aus Verkleideter Gott , so wie damals, bevor die Diamant GmbH das Haus übernommen hatte. Die Angestellten applaudierten und lächelten nach langer Zeit wieder. Die neunzehnjährige Katja Erikson, Schwester Barbros Vertretung, backte Zimtschnecken zum Kaffee, brachte Snille Werkzeug mit und ließ sie einfach alle machen. Das Selbstvertrauen der Bewohner im Haus Diamant stieg, und als der Tag gekommen war, an dem Katja radelnd das Haus verließ und Schwester Barbro zurückkehrte, war ein Samen des Trotzes und der Revolution auf fruchtbaren Boden gefallen.
»Nun gut, wir sollten auf das Schlimmste gefasst sein«, seufzte Snille, als er bemerkte, wie Barbro durch die Glastüren hereinkam.
»Jetzt wird sie für den Herrn Direktor noch mehr sparen«, sagte Märtha. »Allerdings wäre das unserer Sache gar nicht abträglich«, schob sie hinterher und zwinkerte ihm verschmitzt zu.
»Da hast du recht«, antwortete Snille und zwinkerte zurück.
Schwester Barbro war noch keine Stunde wieder im Haus, da hörte man schon die Türen knallen und ihre hohen Absätze über die Flure klackern. Am Nachmittag bestellte sie alle in den Saal, räusperte sich und legte einen Stapel Unterlagen vor sich auf den Tisch.
»Leider sind wir gezwungen, einige Sparmaßnahmen durchzuführen«, begann sie ihre Rede. Ihre Frisur schien neu zu sein, und das Goldarmband an ihrem Handgelenk hatte sie vorher auch nicht getragen. »In schlechten Zeiten müssen wir an einem Strang ziehen, da hilft alles nichts. Leider müssen wir Personal einsparen, deshalb werden ab nächster Woche nur noch zwei Angestellte außer mir hier im Haus sein. Das bedeutet, dass Sie nur noch einmal in der Woche nach draußen können.«
»Aber das können Sie nicht machen. Gefangene bekommen jeden Tag Bewegung«, protestierte Märtha laut und deutlich. Barbro tat so, als hätte sie es nicht gehört.
»Und dann müssen wir natürlich bei den Mahlzeiten sparen«, fuhr sie fort. »Ab sofort bekommen Sie täglich nur noch eine Hauptmahlzeit. Ansonsten erhalten Sie belegte Brote.«
»Kommt nicht in Frage. Wir brauchen ordentliches Essen, und außerdem sollten Sie viel mehr Obst und Gemüse auf den Tisch bringen«, brüllte Kratze.
»Ob die Küche oben wohl abgeschlossen ist?«, flüsterte Märtha.
»Nicht das schon wieder«, stöhnte Stina und ließ die Nagelfeile fallen.
Spät am Abend, das Personal war lange schon nach Hause gegangen, ging Märtha trotzdem hinauf. Kratze würde so froh sein, wenn er seinen Salat bekäme. Er war niedergeschlagen, weil sein Sohn nichts von sich hatte hören lassen, und konnte ein wenig Aufmunterung gut vertragen. Märtha hätte sich auch gewünscht, noch eine Familie zu haben, doch der Mann ihres Lebens hatte sie verlassen, als ihr Sohn zwei Jahre alt war. Der Kleine hatte Grübchen und blonde Locken gehabt, und er war fünf Jahre lang
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