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»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«

Titel: »Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Poole
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blickte sie auf mein Namensschild und sah mir mit todernster Miene in die Augen. »Ist in der First Class zufällig noch ein Platz frei, Heather?«
    Augenblicklich schrillten alle Alarmglocken in meinem Kopf. Wann immer mich jemand mit dem Vornamen anspricht, folgt zwangsläufig ein Sonderwunsch.
    »Tut mir leid, aber es ist nichts mehr frei«, antwortete ich. Als ich ihr erklären wollte, dass sie, selbst wenn es noch einen freien Platz gäbe, sich trotzdem nicht dorthin setzen könne, schob sie sich mit einer abfälligen Handbewegung an mir vorbei und stolzierte den Gang hinunter bis zu einem Platz ganz vorn in der Economy-Class.
    In einer Boeing 767 befindet sich die Bordküche für die Business-Class direkt hinter der Economy-Class. Normalerweise sind die ersten Reihen der Economy an den Notausgängen mit Vielfliegern belegt, die sich zwar das billigere Ticket gekauft haben, aber darauf hoffen, dass etwas von den Mahlzeiten der Business-Class für sie abfällt. Als die arme Kranke sich also auf einen der Plätze neben den Notausgängen setzte, war mir sofort klar, dass dies nicht mein Glückstag war.
    Eine halbe Stunde nach dem Start, als ich vier Reisenden aus der Business-Class ihre Drinks – eine Cola light mit Zitrone, ein Wasser ohne Eiswürfel, ein Wodka Tonic und ein Glas Chardonnay auf einem Tablett mit Leinenserviette – servieren wollte, drückte sie den Rufknopf. Ich ging zu ihr: »Darf ich Ihnen etwas bringen?«
    »Mir geht’s nicht gut. Mir ist schlecht.«
    »Möchten Sie vielleicht ein Ginger-Ale?«
    »Lieber einen Tee. Kräutertee. Aber nicht aus dem Pappbecher, sondern aus einer richtigen Tasse«, sagte sie mit Blick auf die Porzellanbecher auf der Wärmeplatte der Bordküche.
    »Wir haben leider nur normalen Lipton-Schwarztee.«
    »Na gut. Könnte ich etwas zu essen kriegen?«
    Während mein Kollege weiter die Passagiere auf seiner – wohlgemerkt nur seiner – Seite der Business-Class bediente, rief ich meine Kollegen in der Economy an, die gerade mit dem Service anfangen wollten, und ließ mir die Snacks zum Verkaufen aufzählen. Als ich auflegte, fragte sie: »Gibt’s keine Rohkost?«
    »Rohkost?«, wiederholte ich, weil ich glaubte, mich verhört zu haben.
    »Ich kann nichts anderes essen.«
    »Wie wär’s mit einem Brötchen oder ein paar Crackern?«, bot mein Kollege an. Eigentlich geben wir grundsätzlich keine Speisen der Business-Class an die Economy-Passagiere aus. Aber die Frau war tatsächlich ein bisschen blass um die Nase, und wir wollten schließlich nicht wegen ihr umkehren müssen.
    Doch dieses arme kranke Geschöpf konnte keine Brötchen essen, auch kein Stück Käse. Salat ebenfalls nicht. Nüsse genauso wenig. Noch nicht mal Schokolade! Und auch nicht den leckeren hausgemachten Bratreis, den ihr der Passagier auf dem Sitz vor ihr netterweise anbot. (Ich konnte ihn sehr wohl essen, und er schmeckte köstlich. Danke, Kwan!)
    Außer Rohkost kam nichts in Frage. Und wenn sie nicht sofort etwas bekäme – auf der Stelle –, würde ihr ganz fürchterlich schlecht werden. Behauptete sie zumindest.
    Kaum hatten die Kollegen in der First Class ihren Service beendet, ging ich nach oben. Ich wollte nachsehen, ob etwas übriggeblieben war, auch wenn das so gut wie nie vorkommt. Aber an diesem Tag fand sich ein Schüsselchen Erbsen, und die leitende Flugbegleiterin gestattete sogar, sie unserer Holzklassen-Prinzessin zu servieren.
    »Heute ist Ihr Glückstag«, verkündete ich und reichte ihr das Silberschüsselchen nebst Silberlöffelchen.
    Kein Dankeschön, kein Sonstirgendetwas. Lediglich zwei Bissen, bevor sie das Gesicht verzog und mir die Schüssel zurückgab. Der Mann neben ihr verdrehte nur die Augen.
    Kaum hatte ich ihr den Rücken zugekehrt, ging der Rufknopf an. Ich brauchte wenigstens nicht weit zu gehen, um ihn wieder auszuschalten.
    »Ich muss aufs Klo und brauche Hilfe«, murmelte sie.
    Also nahm ich ihren Ellbogen und half ihr aus dem Sitz. »Ich glaube, mir wird schlecht«, stöhnte sie und stürzte mit vier raschen Schritten in die Toilette der Business-Class. Ich drückte ihr eine Spucktüte in die Hand, schlug die Tür zu und versprach, gleich noch einmal nach ihr zu sehen.
    »Ich schaff’s nicht allein«, hörte ich ihre gedämpfte Stimme durch die geschlossene Tür.
    »Wie meinen Sie das?«, rief ich auf der anderen Seite. »Brauchen Sie einen Arzt?«
    »Nein. Ich brauche nur …« Ich beugte mich vor und presste mein Ohr gegen die Tür. Im selben Moment

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