»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Schließlich wurde meine Gruppe aufgerufen. Man führte uns in einen kleinen Raum, wo wir von einer Mitarbeiterin zu unserer Berufserfahrung befragt wurden. Um auf Nummer sicher zu gehen, meldete ich mich stets als Zweite oder Dritte, denn ich hatte von anderen Kandidatinnen gehört, dass es nicht besonders gut ankam, wenn man als Letzte sprach. Nach etwa zehn Minuten kam die lebhafte Frau mit dem leuchtend roten Lippenstift zur Sache.
»Weshalb möchten Sie denn Flugbegleiterin werden, einmal abgesehen davon, dass Sie gerne reisen und neue Menschen kennenlernen?«
Stille. Schließlich hob ich die Hand. Glamour! Abenteuer! Freiflüge! Die Frau strahlte übers ganze Gesicht und entließ uns mit den Worten: »Wenn Sie innerhalb der nächsten zwei Wochen nichts von uns hören, können Sie sich gern zu einem späteren Zeitpunkt wieder bewerben.«
Auf dem Weg nach draußen sah ich durch eine Glasscheibe in einer der Türen die Ex-Flugbegleiterin auf eine riesige Personenwaage steigen. Unsere Blicke trafen sich, und sie reckte strahlend den Daumen. Leicht beklommen winkte ich zurück. »Freiflüge« war wohl nicht die richtige Antwort gewesen.
Drei Jahre später bewarb ich mich zum zweiten Mal. Mittlerweile hatte ich meinen College-Abschluss in der Tasche und entwarf Armbanduhren für ein bekanntes Unternehmen. Es war ein spannender Job, aber die Bezahlung war miserabel, und als mir eine Beförderung auch nicht mehr Geld ins Portemonnaie brachte, warf ich das Handtuch. Wieder war es meine Mutter, die die Stellenanzeige aus den Dallas Morning News ausschnitt. Eine Airline, von der ich noch nie gehört hatte, suchte Flugbegleiterinnen. Für 14 Dollar pro Stunde. Warum nicht?, dachte ich. Ich konnte in der Welt herumfliegen und Leute kennenlernen, derweil ich mir einen anderen, anständigen Job suchte; einen, der angemessen bezahlt und gesellschaftlich anerkannt war. Vielleicht etwas im Marketing oder so. Zwei Tage später war ich hochoffiziell Flugbegleiterin bei Sun Jet International Airlines!
Entgegen ihrem Namen flog Sun Jet International, eine Chartergesellschaft mit Sitz in Dallas, keine einzige Strecke, die die Bezeichnung »international« verdient hätte. Wir flogen keine einzige Destination an, die eine Übernachtung erforderte, sondern ausnahmslos »turns«, also Hinflüge mit sofortigem Rückflug, weshalb ich nicht einmal Unterwäsche einpacken musste. Es gab drei – geleaste – Maschinen, alles steinalte Vögel, mit denen sie für einen Spottpreis von 69 Dollar die Flughäfen Newark, Fort Lauderdale und Long Beach bedienten. Andere Airlines verlangten für dieselbe Route zu dieser Zeit das Achtfache – und das sagt auch schon einiges über unsere Fluggäste aus. Innerhalb kürzester Zeit waren wir zum »Tänzer-Express« avanciert, denn sämtliche Go-go-Girls aus Dallas flogen mit uns nach New York, um im Big Apple reich und berühmt zu werden. Nach dem Flug scharten sich die Turbo-Blondinen auf ihren 15-Zentimeter-Tretern um das Gepäckband und warteten darauf, dass ihre riesigen Kostümsäcke klingelnd herangerollt kamen.
Bereits nach wenigen Wochen merkte ich, dass andere Flugbegleiterinnen – richtige Flugbegleiterinnen, die exotische Orte anflogen und im Hotel übernachten durften – mich nur selten zurückgrüßten, wenn wir uns im Terminal über den Weg liefen. Vielleicht lag es an den Sun-Jet-Uniformen: sportliche weiße Blusen mit zwei silberfarbenen Streifen auf jeder Schulter und marineblaue Bermudas, zu denen wir farblich passende Seidenstrümpfe und Pumps trugen. Ein alberner Aufzug, trotzdem liebte ich ihn, denn er war der sichtbare Beweis dafür, dass ich Flugbegleiterin war. Das heißt, bis zu diesem Tag, an dem wir in Newark landeten und ich aus der Maschine stürzte, um mir vor dem Rückflug nach Dallas schnell etwas zu essen zu besorgen. Als ich ungeduldig bei Nathans Hotdog-Bude in der Schlange stand, sah ich uns zum ersten Mal so, wie andere uns sahen: Denn die Frau, die das Würstchen zwischen zwei trockene Brötchenhälften legte, trug eine blaue Ansteckkrawatte, die genauso aussah wie meine. Danach weigerte ich mich, dieses Ding noch einmal anzuziehen.
Gut möglich, dass die anderen Flugbegleiterinnen sich hinter unserem Rücken nicht über unsere Krawatten lustig machten, sondern wegen unserer Passagiere auf uns herabsahen. Die waren berüchtigt dafür, regelmäßig am Flughafen für Aufruhr und Ärger zu sorgen. Aber wer konnte es ihnen verdenken? Immerhin arbeitete ich für
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