»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
sprang das BESETZT -Schild auf FREI , und ich fiel um ein Haar kopfüber in die Toilette. »Kartoffeln«, murmelte sie. »Haben Sie Kartoffeln?«
»Nicht direkt. Ich kann Ihnen Kartoffelchips anbieten.« Ihr gesamtes Kampfgewicht von fünfundvierzig Kilo auf meinen Arm gestützt, schleppte sie sich zurück zu ihrem Sitz. »Sind Sie sicher, dass Sie kein Mineralwasser und ein trockenes Brötchen wollen? Danach würden Sie sich bestimmt gleich besser fühlen.«
»Ja, ich bin sicher. Aber sind Sie sicher, dass Sie keine Kartoffeln haben?«
Es gab nur eines, dessen ich mir noch sicherer war: dass sich meine Passagiere in der Business-Class längst fragten, wo ich abgeblieben war.
Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten keine Kartoffeln an Bord. Das war der Moment, als die »kranke« Passagierin, die sich vielleicht, vielleicht auch nicht (je nachdem, wen man fragte) auf der Business-Toilette erbrochen hatte und daher möglicherweise sogar dafür verantwortlich war, dass im Waschbecken irgendeine braune Brühe überquoll, mich wutentbrannt anstarrte und fauchte: »Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt!«
Es muss an dieser Stelle erwähnt werden: Ich bin wirklich ein netter Mensch. Ehrlich. Ich liebe meine Arbeit. Ich schwöre. Und solange es in einem halbwegs vernünftigen Rahmen bleibt, tue ich so gut wie alles für meine Fluggäste, ob ihnen nun übel ist oder nicht. Diese Frau aber raubte mir den letzten Nerv. Trotzdem hielt ich den Mund, ließ mich, wie ich es in der Ausbildung gelernt hatte, auf ein Knie sinken und sah ihr in die rotgeränderten Augen, als sie mich anfauchte: »Und wenn man bedenkt, wie schlecht es mir geht, war ich wirklich richtig nett zu Ihnen.«
Ich holte tief Luft, nickte und kämpfte unter Aufbietung meiner gesamten Willenskraft das Bedürfnis nieder, sie daran zu erinnern, was sie bisher von mir verlangt hatte: einen Platz in der ersten Klasse, einen Kräutertee – serviert in einer Porzellantasse –, Rohkost, Hilfe auf dem Weg zur Toilette, Kartoffeln. Und nun wollte sie auch noch als Erste aus dem Flugzeug aussteigen. Ganz ehrlich – in fünfzehn Dienstjahren hat noch nie ein Passagier so viel auf einmal von mir verlangt wie diese Frau!
Der Fairness halber muss ich allerdings sagen, dass nicht nur die Fluggäste manchmal dem Wahnsinn verfallen. Ab und an sind es auch die Kollegen, wie folgender Vorfall beweist, der mir vor etlichen Jahren passiert ist: Ich war gerade dabei, meine Sachen zu verstauen, als sich vier Mitglieder der Besatzung auf mich stürzten. Mir war auf der Stelle klar, dass ich ein Problem am Hals hatte. »Du übernimmst den Getränkeservice auf der linken Seite der Holzklasse«, lautete die Ansage.
»In Ordnung«, erwiderte ich, obwohl es keineswegs in Ordnung für mich war. Aber so bin ich nun mal. Ich gehe Auseinandersetzungen aus dem Weg, wo ich nur kann.
Ich war als Reserve auf diesem Flug eingesetzt worden, daher kannte ich die Crew nicht. Was aber keine Rolle spielte. Sehr wohl spielte eine Rolle, dass ihr Heimatflughafen San Francisco war, wo üblicherweise die dienstältesten Angestellten meiner Fluggesellschaft stationiert sind. Meine Basis hingegen ist New York, wo seit jeher die jüngsten, rangniedrigsten Flugbegleiter wohnen. Bei einigen Airlines werden die Aufgaben der Crewmitglieder unmittelbar vor jedem Flug entsprechend der Dienstgrade festgelegt. Das heißt, nur weil man auf dem einen Flug Küchendienst hatte, muss es beim nächsten noch lange nicht genauso sein. Will ein dienstälterer Flugbegleiter tauschen, gibt der Jüngere selbstverständlich nach. Nicht so bei meiner Fluggesellschaft. Wir kennen unsere Position lange im Voraus und müssen auch nicht tauschen, wenn wir nicht wollen. An diesem Tag jedoch fühlte sich der Rest der Crew bemüßigt, mir meine Position vorzuschreiben. Dabei wusste ich längst, wo ich eingeteilt war – und zwar definitiv nicht im Getränkeservice der Holzklasse.
Nachdem ich mein Gepäck verstaut hatte, ging ich zurück, um mich bei den drei Flugbegleitern vorzustellen, die in der Bordküche herumstanden. Schon auf den ersten Blick war mir klar, was der irre Ausdruck in den stechend blauen Augen eines der Kollegen zu bedeuten hatte. Er war der Problemfall!
Ich lächelte ihn trotzdem an. »Ich glaube, wir beide arbeiten heute zusammen. Ich bin Heather.«
»Mike.« Mike setzte sich auf seinen Klappsitz, schlug die Beine übereinander und strich seinen dicken schwarzen Schnurrbart glatt, ohne mich eines Blickes
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