Wir nannten ihn Galgenstrick
und sah auf der Schwelle die Dienstagsbettlerin, die durch das Unwetter gekommen war, um ihr Melissenzweiglein zu erbitten.
Vielleicht hätte der Mittwoch mich an diese beklemmende Umgebung gewöhnt, hätte nicht, als ich ins Wohnzimmer kam, der Tisch an der Wand gestanden, die Möbel darauf gestapelt, und auf der anderen Seite, auf einem nachts aufgestellten Behelfsgestell, die Truhen und Kisten mit dem Hausrat. Das Bild löste in mir ein schreckliches Gefühl der Leere aus. Etwas war während der Nacht geschehen. Das Haus war aus den Fugen geraten; die Guajiros, ohne Hemd und barfuß, schleppten die Möbel ins Eßzimmer. Im Gesichtsausdruck der Männer, ja in dem Eifer, mit dem sie arbeiteten, äußerte sich die Grausamkeit der gescheiterten Auflehnung, der auf gezwungenen demütigenden Unterwerfung, unter den Regen. Ich bewegte mich richtungslos, willenlos. Ich fühlte mich in trostloses Ödland verwandelt, besät mit Algen und Flechten, quallig weichen Pilzen, befruchtet vom widerwärtigen Wachstum der Feuchtigkeit und Düsternis. Ich stand im Wohnzimmer und betrachtete das wüste Schauspiel der aufgestapelten Möbel, als ich die Stimme meiner Stiefmutter in der Kammer hörte, die mich warnte, ich könne mir eine Lungenentzündung holen. Jetzt erst merkte ich, daß das Wasser mir bis zu den Knöcheln reichte, daß das Haus überschwemmt und der Kußboden mit einer dicken Schicht schleimigtoten Wassers bedeckt war.
Am Mittwochmittag war es noch nicht Tag. Und vor drei Uhr nachmittags war die Nacht voll eingebrochen, vorzeitig und kränklich, mit dem gleichen langsamen, eintönigen und erbarmungslosen Rhythmus des Regens im Innenhof. Es war eine verfrühte, sanfte und todesdüstere Abenddämmerung, die mitten im Stillschweigen der Guajiros wuchs, die auf den Stühlen an den Wänden kauerten, ergeben und machtlos angesichts der Verwirrung in der, Natur. Nun begannen Nachrichten von der Straße einzutreffen. Niemand brachte sie. Sie kamen einfach, selbständig, wie herbeigebracht vom fließendem Lehm, der durch die Gassen kroch und Hausrat mitführte, Dinge und Aberdinge, Trümmer einer fernen Katastrophe, Gerumpel und tote Tiere. Am Sonntag geschehene Ereignisse, als der Regen noch die Ankündigung einer verheißungsvollen Jahreszeit war, gelangten erst nach zwei Tagen zu uns. Und am Mittwoch kamen die Nachrichten, wie angetrieben vom eigenen Kraftkern des Unwetters. Nun erfuhr man, daß die Kirche überschwemmt war, man erwartete ihren Einsturz. Jemand, der es eigentlich kaum wissen konnte, sagte an jenem Abend: »Seit Montag kann der Zug nicht mehr über die Brücke. Es scheint, der Fluß hat die Schienen mitgerissen.« Auch erfuhr man, eine kranke Frau sei aus ihrem Bett verschwunden und nachmittags im Innenhof schwimmend gefunden worden.
Schreckgebannt und besessen von Entsetzen und der Sintflut, setzte ich mich mit hochgezogenen Beinen in den Schaukelstuhl, die Augen starr auf die feuchte, von düsteren Vorahnungen angefüllte Finsternis geheftet. Meine Stiefmutter trat in die Tür mit hochgehaltener Lampe und hocherhobenem Kopf. Sie erschien mir als vertrautes Gespenst, vor dem ich nicht zusammenzuckte, weil ich selbst ihren übernatürlichen Zustand teilte. Sie kam auf mich zu. Noch immer hielt sie den Kopf erhoben und die Lampe hoch und patschte durch das Wasser des Gangs. »Jetzt müssen wir beten«, sagte sie. Ich sah ihr vertrocknetes, gefurchtes Gesicht, als sei sie aus menschenfremdem Stoff gemacht. Sie stand vor mir, den Rosenkranz in der Hand, und sagte: »Jetzt müssen wir beten. Das Wasser hat die Gräber aufgebrochen, und die armen Toten schwimmen im Friedhof umher.«
Vielleicht hatte ich in der letzten Nacht ein wenig geschlafen, als ich von einem säuerlich aufsässigen Geruch wie von verwesenden Leibern aufgefahren war. Ich schüttelte kräftig Martin, der neben mir schnarchte. »Riechst du’s nicht?« fragte ich, und er sagte: »Was?« Und ich sagte: »Den Geruch. Das müssen die Toten sein, die durch die Gassen schwimmen.« Ich fühlte mich von diesem Gedanken überwältigt, doch Martin drehte sich zur Wand und sagte mit schläfrigheiserer Stimme: »Das sind so deine Manien. Schwangere Frauen bilden sich immer wunder was ein.«
Im Morgengrauen des Donnerstags hörten die Gerüche auf, und das Gefühl für Entfernungen ging verloren. Der seit dem Vortag gestörte Zeitbegriff schwand vollends. Wir hatten überhaupt keinen Donnerstag. Was Donnerstag hätte sein sollen, war eine erstarrte,
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