Das echte Log des Phileas Fogg
EINLEITUNG
Wieviel wußte Jules Verne von der tatsächlichen Geschichte hinter der Reise um die Erde in 80 Tagen?
Er kann unmöglich im Vollbesitz aller Tatsachen gewesen sein. Andernfalls hätte er sich gefürchtet, die Geschichte überhaupt in irgendeiner Form niederzuschreiben. Dennoch, er flocht so viele Andeutungen und Doppelsinnigkeiten über Phileas Fogg ein, daß er einen Verdacht gehabt haben muß. Kein anderer Bericht über diese berühmte Jagd um den Erdball – und solche Berichte gab es viele – enthält derartige Anspielungen oder versteckte Hinweise.
Vermochte Verne einen Blick in Foggs geheimes Reisetagebuch zu werfen, in das andere, das »echte« Log seiner achtzigtägigen Reise? Das wirkt unwahrscheinlich. Womöglich hat er davon vernommen und von irgend jemandem einige der Aufzeichnungen zur Kenntnis erhalten. Aber hätte es ihm gänzlich zur Verfügung gestanden, er wäre daraus nicht klüger geworden, sondern lediglich in noch größere Verwirrung geraten. Das geheime Reisetagebuch war in der Silbenschrift von Eridani A verfaßt. Nur einer der Uralten, ein feindlicher Capellaner oder ein menschlicher Zögling, konnte sie lesen. Keiner davon hätte einem gewöhnlichen Menschen die Kenntnis dieser seltsamen Schrift weitergegeben.
Natürlich gibt es immer Verräter. Gefühle sind eine Voraussetzung sowohl für Treue wie auch zum Verrat.
Man betrachte einige von Vernes Anspielungen bezüglich der Person von Phileas Fogg. Er habe 1000 Jahre leben können ohne zu altern. Seine Mitgliedschaft im exklusiven ReformClub war unerklärlich. Die Bankiers Baring hatten ihn empfohlen, doch warum? Niemand wußte, woher Fogg oder sein Vermögen kam. Aber die Abneigung von Engländern der oberen Klasse inmitten des Viktorianischen Zeitalters, jemanden ohne ›gute‹ Abstammung oder ohne Vermögen zu akzeptieren, ist wohlbekannt. Anscheinend war er ein Wesen mit völlig unveränderlichen Gewohnheiten. Nicht allein konnten die Nachbarn ihre Uhren nach seinem Tagesablauf stellen, sie müssen sich auch gefragt haben, ob er wirklich ein Mensch sei oder ein Uhrwerkautomat. Sicherlich wirkte er entweder unmenschlich oder nicht menschlich.
Doch er hatte ein Herz. Er gab selbst zu, daß er eins hatte, sobald er es sich leisten konnte. Er vermochte Stunde um Stunde reglos zu sitzen wie ein riesiger Frosch, der ohne zu blinzeln die saftigen Fliegen beobachtet, die das bloße Warten ihm einbringt.
Und war er gereist, dieser Mann, der sein Treiben auf einen sehr kleinen Teil der Welt beschränkt hatte? Wie es scheint, kannte er fast die ganze Erde, sogar die entferntesten Gegenden.
»Es gibt nichts Unvorhergesehenes«, hörte man ihn mehr als einmal sagen. Bedeutet dies, daß er die Gabe des Hellsehens besaß? Oder verweist es auf eine glaubwürdigere, aber weitaus unheimlichere Fähigkeit? Dieser Engländer, der so unerschütterlich seinem Alltag folgte wie eine Lokomotive im weiten Westen ihren Gleisen, warum sprang er sozusagen plötzlich aus den Schienen und verschwand hinter dem Horizont?
Warum? Es gibt viele solcher Fragen, die Verne nicht beantwortet.
Die Existenz von Mr. Foggs geheimem Reisetagebuch war unbekannt, bis im Jahre 1947 das Haus Nr. 7 in der Saville Row, Burlington Gardens, London, einigen Ausbesserungsarbeiten unterzogen wurde. Dieses Haus war, wie jedermann weiß, einst Wohnsitz des berühmten und geistreichen, aber armen Schauspieldichters und Parlamentsmitglieds Richard Brinsley Sheridan. Er starb in kümmerlichen Verhältnissen im Jahre 1816 (nicht 1814, wie Verne schreibt). Als man eine Garderobenwand niederriß, entdeckte man in einem kleinen Hohlraum zwischen zwei Wänden ein handliches Tagebuch. Dies hatte sich anscheinend in gutem Zustand befunden, bis durch ein Loch im Dach Wasser daran gelangen konnte. Einige Seiten waren völlig verdorben, Teile anderer Seiten unleserlich. Immerhin blieb von dem unbekannten Text genug übrig, um ihn unter den Linguisten und Kryptographen der ganzen Welt zum cause celebre zu machen.
Im Jahre 1962 erkannte man den Text endlich als bislang unbekannte Sprache; es handelte sich weder um einen Kode noch um eine Geheimschrift. Man hätte sie niemals entziffern können, wäre es nicht zur Entdeckung einiger Notizbücher in einem Haus im ländlichen Derbyshire gekommen. Es gehörte zum Gut, das einmal Eigentum von Sir Heraclitus Fogg gewesen war, einem Baronet. Diese Notizbücher enthielten Bemerkungen, die dem Zweck dienen sollten, einem Kind, das die
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