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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Weisband
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revolutionäre, was die anderen Spezies auf diesem Planeten betrifft. Um die Sprache festzuhalten, entwickelten sie die Schrift. Damit ermöglichten sie Kommunikation über die Grenze der Zeit hinweg – in die Zukunft. Außerdem konnten mehrere Menschen dasselbe Schriftstück in unveränderter Form lesen. Wir bauten darauf große Religionen auf, Gesetze wurden schriftlich festgehalten, Geschichten und Überlieferungen bekamen plötzlich eine ganz neue Lebensdauer. Die Schrift ermöglichte es uns, über Distanz zu kommunizieren. In einem Land konnte man etwas aufschreiben und es auf einem Stück Papier mit einem schnellen Pferd in ein anderes Land befördern. Der Empfänger konnte das Stück Papier dann lesen, eine Antwort verfassen und zurücksenden. Schriftverkehr dauertedamals lange, aber er vernetzte die Welt. In den ersten Gehirnen formte sich eine Vorstellung der Erfindung. 1833 sendeten Wilhelm Weber und Carl Friedrich Gauß eine Nachricht vom Physikgebäude in Göttingen zur Göttinger Sternwarte. Das wäre nicht weiter aufsehenerregend, wäre die Nachricht auf Papier übertragen worden. Doch sie wurde durch elektrische Impulse übertragen. Zunächst durch ein Kabel, später per Funk – der Telegraph ermöglichte Kommunikation über weite Strecken beinahe in Echtzeit. Kommunikativ war der Raum überwunden. Es fehlte noch eine zweite Erfindung, nämlich der Computer, um das Potenzial dieser Idee voll zu nutzen. Computer konnten nach und nach immer mehr Informationen gleichzeitig verarbeiten, sie lieferten eine gute Schnittstelle zwischen den vernetzten Kabeln und dem Menschen. Das Internet war geboren. Im Prinzip eine große Kommunikationsmaschine. Die ganze Welt kann in Echtzeit miteinander reden, einander zuhören, Informationen verbreiten, verarbeiten und veranschaulichen. Eine Vielzahl von Programmen hilft uns beim Filtern, Suchen, Visualisieren und Verstehen. Ohne die wären wir in einer Welt der elektrischen Impulse verloren. Aber gerade jetzt leben wir in einer wunderbaren Zeit, in der wir austesten können: Was geht noch alles? Was können wir mit diesem Internet tun? Sehenswürdigkeiten mit der Handykamera aufnehmen und ihre passenden Wikipedia-Einträge anzeigen? Kein Problem. Alle Bankautomaten in der Nähe verorten und den nächsten finden? Kein Problem. Wir arbeiten an Applikationen, mit denen wir in einer Bar auf unserem Handy einen Drink wählen und digital bestellen können. Wir lassendas Netz in alle Bereiche unseres Lebens vordringen. In fast alle, jedenfalls. Bislang haben wir dabei scheinbar einen seltsamen Bogen um die Politik gemacht. Ich sage »scheinbar«, denn in Wirklichkeit warten Menschen nicht darauf, dass offizielle politische Stellen eine Erfindung für sich entdecken. Das Internet wird schon seit einer Weile politisch genutzt. Unsere Aufgabe als Staatsbürger besteht also darin, zu erkennen, wie und wo man das tut und was davon man eben offiziell übernehmen könnte, damit alle daran teilhaben können. Es geht darum, die Chancen eines Kommunikationsnetzwerks für optimale politische Kommunikation zu nutzen. Ich werde einen Einblick darüber geben, was ich mir unter geeigneten und ungeeigneten Werkzeugen vorstelle. Doch wer sagt, dass Politiker nur »das Internet« verschlafen hätten, der übersieht das Wesentliche. Dass nämlich das Internet nicht nur unsere Art zu kommunizieren verändert hat, sondern auch unsere Art zu denken.
    Ich lehne mich mal aus dem Fenster und spreche für meine Generation. Die meisten von uns sind damit aufgewachsen, Nachrichten nicht einfach nur aus Fernseher, Zeitung und Radio zu empfangen und unkommentiert stehen zu lassen. Wir haben sehr früh Nachrichten auch über das Internet bekommen. Dort hatten sie eine besondere Eigenschaft – sie konnten kommentiert werden. Vereinfacht gesagt bin ich mit der Gewohnheit aufgewachsen, zu allem meinen Senf dazuzugeben. Artikel konnten nicht nur gelesen und geglaubt werden, sondern auch mit anderen Artikeln verglichen, recherchiert und besprochen werden. Das Internet hat mich als Jugendliche von der Illusionbefreit, es gäbe nur eine Wahrheit. Ich bin also auch damit aufgewachsen zu hinterfragen. Mit diesen beiden Gewohnheiten – Fragen zu stellen und zu kommentieren – gehe ich nun also durch die Welt und frage mich: Warum kann ich das in Foren und auf Nachrichtenseiten tun, aber nicht in der Politik? Warum kann ich nicht genauso schnell Informationen bekommen und Feedback senden an die Stelle, die über

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