Wir nennen es Politik
ich zu wenig Ideen hätte, mit denen ich es hätte füllen können. Sondern weil ich für jeden kleinen Bereich Leute kenne, die ihn sehr viel besser hätten beschreiben können. Deren Ansichten dahingehend konsistenter sind, weil sie sich länger mit dem Thema befasst haben. Vielleicht, so fürchtete ich, würden einigen dieser Menschen meine Feststellungen banal erscheinen, vielleicht gar falsch. Es gibt so vieles, was es zu lernen gilt. So viele Thesen, die es zu entwickeln gilt. Hätte ich dieses Buch vor einem halben Jahr geschrieben, wäre es ganz anders geworden. Und hätte ich es ein Jahr später geschrieben, wäre es sicher wieder anders. Dieser Gedanke hat mich in eine echte Sackgasse gebracht. Ich konnte keinen Satz mehr niederschreiben, ohne ihn zu hinterfragen und mir unsicher zu sein. Ich habe diese Lähmung erst überwunden, als ich selbst die Fehlerkultur erlernte, die ich von Politikern fordere. Ich musste akzeptieren, dass ich es nicht jedem Leser recht machen werde. Dass ich irren werde und meine Aussagen vielleicht in einem Jahr wieder anpassen muss. Und diesem Risiko zum Trotz sollten wir alle dennoch unsere Ideendort hinausstellen. Während wir auf den perfekten Gedanken warten, entgehen uns vielleicht zwanzig gute. Es ist eben eine Momentaufnahme, ein Mosaikstein, ein kleiner Beitrag in einer immerwährenden Diskussion darüber, wie wir zusammenleben können.
Als ich fünfzehn oder sechzehn war, war ich von dem Gedanken besessen, weise zu werden. Die Fähigkeit, alle Dinge ruhig, gelassen und richtig zu interpretieren und in ihren Kontext setzen zu können, erschien mir als große Tugend und absolut anstrebenswertes Ziel. Ich dachte früher, es sei eine Art Fehler, dass Menschen erst im Alter weise werden.
Ich bin erst später auf den Trichter gekommen, unglaublich viele Fehler zu machen. Nicht ganz mit Absicht, natürlich, aber jedenfalls ohne übertriebene Angst davor. Warum? Weil das Leben so funktioniert, dass alle Evolution irgendwie aus Fehlern und Versehen heraus passiert. Weil neue Gedanken eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, unzutreffend zu sein, aber trotzdem auf die Möglichkeit neuer Erkenntnis hin ausgesprochen werden sollten. Ich habe gelernt, dass Weisheit ins Alter gehört. Die Jugend ist aber dazu da, Neues zu entwickeln. Unruhig und ungeduldig zu sein, nicht alles zu wissen und dabei trotzdem handlungsfähig zu bleiben.
Ich schreibe das nicht, weil ich Kritik fürchte. Im Gegenteil, ich mag Kritik, wenn sie vernünftig geäußert wird. Vielmehr geht es mir dabei um eine Haltung, die für fast alles, was in dem Buch steht, wichtig ist: um Neugier, Offenheit und die Bereitschaft sich selbst und seine Positionen in einem Lernprozess zu ändern.
Sähe ich mich am Ziel meiner Reise, hätte ich wohl für den Bundestag kandidiert. Doch genau dort sehe ich mich (vielleicht noch) nicht. Genau jetzt ist es so viel wichtiger, an anderen Stellen aktiv zu werden. Nicht als jemand betrachtet zu werden, der alles irgendwie ins Lot bringt. Weil wir als Gesellschaft so jemanden nicht brauchen und nicht bekommen werden. Wir müssen alle selbst anpacken. Darum möchte ich mich im Bereich der politischen Bildung engagieren. Ich will zeigen, was man außerhalb eines Parlaments alles verändern kann. Ich will gerade meine Generation dazu anhalten, ihre eigene Stimme zu erheben.
Die Welt steht auf der Schwelle einer Veränderung und alle stehen verwirrt davor. Und genau jetzt ist es wichtig wie nie, dass gerade die jungen Menschen politisch werden. Wir sind diejenigen, die ohne Angst einfach hingehen und machen. Wir sind diejenigen, die verstehen, dass Regeln veränderbar sind. Wir kommen direkt aus dem Leben, sehen die Welt um uns herum und beginnen, Fragen zu stellen. »Warum ist das so?« »Muss das so sein?« »Geht das auch einfacher? Oder besser? Oder gerechter?« Es ist zentral für jede Organisation, jede Stadt, jedes Land, sich wieder und wieder zu hinterfragen, um sich weiterzuentwickeln und zeitgemäß zu halten. Meine Generation hat etwas zu sagen. Darüber, wie Gesellschaft für uns funktioniert. Darüber, wie die Arbeit der Zukunft aussehen kann. Darüber, was die Belastungen der Lebensführung heute sind. Und manches von dem, was wir sagen, ist manchmal etwas naiv. Aber das ist gut! Wir dürfen uns bloß nicht zu früh davon abbringen lassen. Wir müssenbei unserer Meinung bleiben, auch wenn alte Männer uns sagen, dass wir schon daraus herauswachsen werden. Denn vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher