Wir schaffen es gemeinsam
erschien, die Tatsachen ausgeschmückt und mir ausgemalt, wie Rede und Gegenrede lauten würden.
Da war zum Beispiel Nini. Sie würde es nicht im geringsten auffällig finden, wenn ich sie besuchte. Und wenn ich lustig und ausgelassen plapperte wie sonst und nach einer Weile plötzlich etwa sagte: „Du Nini, ich bin im Augenblick furchtbar klamm. Hast du zufällig Lust, mir hundert Kronen zu pumpen…?“ dann würde ich das Geld todsicher bekommen.
Oder Tante Beate. Sie saß den lieben, langen Tag da und spielte mit ihren Damen Sechsundsechzig, hegte ihren Kater und war so lebensfremd und weltfern – es würde ihr nie auch nur im Traum einfallen, daß ich tatsächlich Not litte, wenn ich es so darstellte, als sei ich nur in einer vorübergehenden kleinen Bedrängnis.
Ich hatte noch andere Eisen im Feuer. Aber diese beiden waren am besten.
Nachdem wir abends das Licht gelöscht hatten, arbeitete ich den Plan aus. Und fragte in die Finsternis hinein: „Schläfst du, Yvonne?“
„Nein.“
Da setzte ich es ihr auseinander, wie ich es mir vorher zurechtgelegt hatte.
„Wibke!“ Die Stimme klang hart, ganz wach. „Wenn du das tust, dann ist es zwischen uns beiden aus. Hast du verstanden?“
Ich antwortete nicht. Ich lag nur ganz still da. Lange Zeit.
Dann fuhr Yvonne fort. Jetzt in etwas ruhigerem Ton. Sie fragte nicht, ob ich schlafe. Sie wußte, daß ich hellwach dalag.
„Man bringt die Schwierigkeiten nicht aus der Welt, indem man sie auf andere Menschen abwälzt, Wibke. Was wir nicht haben, darauf müssen wir eben verzichten. Selbstverständlich würde Nini dir die hundert Kronen leihen. Und selbstverständlich würde Tante Beate dir etwas Geld schenken. Aber das Geld würdest du viel zu teuer bezahlen. Bist du eines Tages wieder obenauf, dann bereust du es bitter, daß du dir einmal eine solche Blöße gegeben hast, daß du dich gedemütigt hast, daß andere Einblick in dein Dasein bekommen haben, als es dir gerade am allerübelsten erging. Es ist besser, mit einem leeren Magen umherzulaufen, von dem keiner eine Ahnung hat, als sich auf anderer Leute Kosten satt zu essen. Und dann noch eins. Was du tust, das ist natürlich deine eigene Sache. Aber in diesem Fall sind wir zu zweit. Wenn du dich demütigst, demütigst du mich auch. Und das lasse ich nicht zu. Jetzt, da du selbst weißt, wie das Leben aussehen kann, sollst du erfahren, daß ich manchmal so ausgehungert war, wenn wir uns im Klub trafen, daß ich es kaum abwarten konnte, bis wir zu Tisch gebeten wurden. Ich erinnere mich noch, wie wir einmal bei dir Schokolade mit Schlagrahm und belegte Butterbrote bekamen anstatt Tee und kleines Gebäck. Du ahnst nicht, wie selig ich war. Da hatte ich eine ganze Woche kein warmes Essen bekommen. Aber keine von euch hat etwas gewußt, keine hätte sich auch nur vorstellen können, daß ich buchstäblich gehungert habe. Ihr redetet von der ,wahnsinnig ulkigen Künstleratmosphäre’ und schwärmtet von einer Operette, in der poetische und verschuldete junge Künstler vorkamen, und wie aufregend so ein Leben doch sein müsse – o Gott, ich hätte euch durchprügeln können, reihum, wie ihr dasaßet und Quatsch redetet, ihr kleinen, gut gefütterten Küken!
Ihr spracht auch von Atelierfesten – der Himmel mag wissen, wo ihr die komischen Vorstellungen her hattet, vielleicht aus Filmen oder schlechten Romanen – o ja, ich entsinne mich noch an Ninis Beschreibung von dem Atelier, das sie sich mal einrichten wollte, mit Decken und Schals und Kissen und Matten und türkischen Tischen und wirkungsvoller Beleuchtung und einer Bar in der einen Ecke! Eine Bar, Wibke! Mit einer Batterie von Flaschen und Gläsern und Salzmandeln in der Büchse und – weißt du das noch? Ja, ja, natürlich gibt es Leute, die sich große, schöne, luxuriös eingerichtete Ateliers leisten können, und da werden sicher auch Feste abgehalten. Unsere kleinen Freundinnen mit ihrem Hühnerhirn wissen aber eins nicht, daß nämlich ein Atelier in erster Linie eine Arbeitsstätte ist, außerdem in der Regel eine Häuslichkeit, da man sich beides nicht leisten kann. Laß uns in Frieden, sage ich, laß uns arbeiten und schuften und hungern und hier und da auch mal ein bißchen flennen, aber bewahre uns davor, daß wir rumgehen und »interessant’ sind, und setze alles dran, damit um Himmels willen die andern Leute nicht in unser Dasein hineingezogen werden, wenn es gerade am allerschlimmsten aussieht!“
Yvonnes Stimme war dringend
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