Wir sind alle Islaender
US-Präsident Obama neulich, dort müsste eigentlich das höchste Haus der Welt stehen, denn über zwölftausend amerikanische Firmen wiesen dort seltsamerweise dieselbe Adresse auf. Erst nach dem Kollaps des heimischen Finanzsystems erfuhren die Isländer, dass sage und schreibe einhundertsechsunddreißig auf den Tortola-Inseln ansässige Firmen die Erlaubnis hatten, in Island Bankgeschäfte zu betreiben. Was selbstverständlich an
den dort herrschenden, ausgesprochen freizügigen Steuergesetzen lag. Man zahlte eine jährliche Gebühr für den Firmensitz, das war’s.
Es ist nicht immer leicht, etwas über die wahren Besitzer dieser Firmen herauszufinden. Meistens werden sie von Mittelsmännern oder Banken gelenkt; Kaupthing beispielsweise hat viele isländische Gesellschaften auf den Tortola-Inseln verwaltet, das heißt die Gebühren bezahlt und für eine ordnungsmäßige Gründung gesorgt. Einige davon gehörten Scheich Mohammed Bin Khalifa Al-Thani aus Katar, einem ebenfalls ausgesprochen inselfreudigen Menschen. Er ist bis heute mit Olafur Olafsson befreundet, und genau ein Jahr nach dem oben erwähnten Besuch auf Flatey, im Juli 2008, kam Olafsson wieder und brachte ein Mitglied der Al-Thani-Familie gleich mit. Ein arabischer Scheich auf Flatey: da verblasst sogar der Eisbär, den die Filmemacher von Nonni und Manni seinerzeit auf die Insel brachten. Zwei Wochen vor dem Kollaps der isländischen Banken, im September 2008, wurde bekannt gegeben, dass der Island- und Inselfreund aus Katar fünf Prozent der Kaupthing Bank gekauft habe. Stolz wiesen die Manager darauf hin, dies sei der Beweis dafür, dass ausländische Investoren den Glauben an die isländischen Banken nicht verloren hätten und von der Zukunft unseres Finanzwesens überzeugt seien.
Nach dem Sturz der Banken wurde der Glaube der Isländer an den Scheich allerdings schwer erschüttert – selbst derer, die ihn seinerzeit auf Flatey zu Gesicht bekommen hatten. Er schien nicht auffindbar. Und schlimmer noch: das Geld, mit dem er seinen angeblichen Anteil an Kaupthing erworben hatte, schien auch nirgendwo gebucht. Hingegen hatte die
Bank ihm bzw. seinen Firmen in der Vergangenheit hohe Kredite gewährt, allein fünfzig Millionen Dollar noch in der Woche vor dem Zusammenbruch, glaubt man den isländischen Zeitungen. Plötzlich waren sie alle verschwunden, die isländischen Milliardäre und die ausländischen Investoren. Auch Olafur Olafsson war nicht mehr ganz so prominent. Und doch: Im Februar dieses Jahres stiftete sein Wohltätigkeitsfonds den Isländern zwanzig Millionen Kronen, um die psychologischen Folgen des Zusammenbruchs der Banken zu bekämpfen.
Wie eine Hubschrauberlandung auf Flatey: So brach der globale Finanzkapitalismus Anfang des 21. Jahrhunderts über Island herein, mit einem Riesenkrach, und wie kleine Kinder liefen wir ihm freudig entgegen, um einen Rundflug zu machen. Genauso schnell verschwand er wieder, mit all seinen Akteuren. Und jetzt müssen wir Isländer lernen, mit Lust und Frust in der Krise zu sein. Wie allmählich die ganze westliche Welt.
Sagenhafter Reichtum einer kleinen Insel
In England there are certain traditional ways of living and spending for rich people which at least give them a certain grace. In Iceland there are none.
W.H. Auden, Letters from Iceland, 1937
Am Freitag, dem 13. März 2009, fand in Reykjavík eine ungewöhnliche, aber gut besuchte Veranstaltung statt. Vertreter des kanadischen Bundesstaates Manitoba stellten Jobmöglichkeiten in ihrem Heimatland vor. In Manitoba herrsche Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften, und Isländer würden dort besonders willkommen geheißen. Zu der Zeit waren auf Island bereits siebzehntausend Arbeitslose registriert. Fünfhundert Leute kamen zu dieser Veranstaltung – die man auch live im Internet verfolgen konnte -, um sich über Arbeitsplätze in Kanada zu erkundigen. Ein paar Wochen zuvor war bereits die Bürgermeisterin der Kleinstadt Gimli am Lake Winnipeg nach Island gereist, um den Medien ganz Ähnliches zu erzählen, in wunderbarem Isländisch übrigens.
Wieso in aller Welt sollten Isländer auf den endlosen Prärien von Manitoba ihr Glück versuchen? Und wieso sind sie dort besonders willkommen? Die Antwort ist einfach: weil sie das schon einmal getan haben. Wahrscheinlich gibt es dort bis zu hunderttausend Menschen isländischer Abstammung. Wenn man so will, lernen Isländer von klein auf, auf der Hut zu sein. In den Jahrzehnten nach 1870 floh
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