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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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wenn auch einen, bei dem sie im Monat vermutlich mehr verdienten, als sie in einem ganzen Jahr zusammenstehlen konnte.
    Jemand rempelte sie so unsanft und mit solcher Wucht an, dass sie beinahe das Smartphone fallen lassen hätte. Hastig machte sie einen halben Schritt zur Seite, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Lena holte Luft zu einer geharnischten
Schimpfkanonade, verschluckte sich nun aber endgültig an dem doppelten Kaugummi, den sie seit zwei Minuten so enthusiastisch weich kaute, dass ihre Kiefer schon wehtaten.
    Wahrscheinlich war es auch besser so.
    Der blonde Typ, der sie angerempelt hatte, besaß zwar nicht den Anstand, sich zu entschuldigen, drehte aber im Gehen den Kopf und sah zu ihr zurück. Lena konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, den Kaugummi herunterzuschlucken, und senkte ihrerseits rasch den Blick, so dass ihr Gesicht unter der Kapuze ihrer schwarzen Fleecejacke verschwand.
    Immerhin registrierte sie zweierlei: Der Blondschopf betrachtete sie auf genau die leicht abfällige Art, die sie von einem Yuppie-Arsch in Designerklamotten wie ihm erwartet hätte; der mit einem Straßenköter in abgewetzten Kleidern zusammenstieß, welcher die Unverschämtheit besaß, einfach so auf dem Bürgersteig zu stehen, der doch von Rechts wegen ganz allein anständigen Menschen wie ihm gehörte.
    Außerdem war es ein verdammt süßer Yuppie-Arsch.
    Lena erinnerte sich rechtzeitig daran, dass sie zum Arbeiten hergekommen war, nicht um auf Männerjagd zu gehen. Sie drehte sich gerade schnell genug weg, um es nicht zu auffällig werden zu lassen. Es war Blödsinn, wegen einer Lappalie Streit anzufangen und sich dadurch womöglich eine gute Gelegenheit entgehen zu lassen. Falls es sie denn überhaupt gab.
    Lena war sich längst nicht mehr sicher, dass die Wahl dieses Standortes nicht ein kräftiger Griff ins Klo gewesen war. Sie war sich mächtig schlau vorgekommen, nicht in einem der besseren Viertel der Stadt auf die Jagd zu gehen, sondern in einer ganz durchschnittlichen Gegend. Aber vielleicht war sie ja einen Tick zu schlau gewesen.
    Wäre nicht das erste Mal, dachte sie missmutig. Auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussah, schien es sie eher in eine typische Arme-Leute-Gegend verschlagen zu haben, die
sich nur redliche Mühe gab, ein bisschen besser auszusehen. Die meisten Häuser waren sauber, es gab keine eingeschlagenen Fensterscheiben oder gar Türen, und auch die Anzahl echter Rostlauben unter den am Straßenrand abgestellten Wagen lag nicht besonders weit über dem Durchschnitt … aber das war nur der äußere Schein.
    Wenn man genauer hinsah, dann war der betagte Geldautomat, der in diesem Moment das Objekt ihrer Begierde darstellte der einzige im Umkreis von vier oder fünf Blocks, und das mit Abstand größte Geschäft war die Aldi-Filiale, vor der sie Aufstellung genommen hatte, um besagten Geldautomaten in der Spiegelung der Schaufensterscheibe möglichst unauffällig im Auge zu behalten.
    Nicht dass es sich bisher gelohnt hätte. Lena lungerte nun schon seit geschlagenen zwanzig Minuten vor dem Supermarkt herum (was genau genommen so ziemlich alles war, nur nicht unauffällig ), und in all dieser Zeit hatte nicht ein einziger Passant den EC-Automaten benutzt. Die Leute in dieser Gegend misstrauten jedweder Technik entweder noch mehr als sie, oder sie hatten ihre Konten allesamt so weit überzogen, dass sie Angst hatten, das Ding würde ihre Karten fressen.
    Lena war sich nicht ganz sicher, wonach ihr Blick eigentlich suchte. Jedenfalls war es nicht der EC-Automat. Verwirrt registrierte sie, dass sie die seitenverkehrten Spiegelbilder der Passanten hinter sich beobachtete, und zwar auf eine Art, als suchte sie nach jemand Bestimmtem …
    Sie rief sich in Gedanken zur Ordnung. Der Junge hatte wirklich süß ausgesehen (und einen niedlichen Hintern gehabt), aber ihr lief die Zeit davon. Wenn sie mit leeren Händen nach Hause kam …
    Nachdenklich wog sie das Smartphone in der Hand, während sie ihren Beobachtungsposten vor den Auslagen des Billig-Discounters aufgab und den Geldautomaten ansteuerte.

    Die gestohlene EC-Karte, die sie aus der Tasche zog, war seit zwei Monaten gesperrt, aber sie erfüllte ihren Zweck: Während sie so tat, als würde sie sie in den Automaten schieben und die Geheimnummer eintippen (sie hütete sich, auch nur eines von beidem wirklich zu tun, denn sie wusste, dass ein einziger Tastendruck die versteckte Kamera aktivierte, und sie war nun wirklich

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