Als die erste Atombombe fiel
Sechzig Jahre nach Hiroshima
Die Gefahr eines Atomkriegs ist größer geworden
Die Botschaft von Hiroshima beginnt zu verblassen. Anfang der 1980er Jahre, als ich anfing, die Texte für das Buch »Als die erste Atombombe fiel … Kinder aus Hiroshima berichten« zusammenzustellen, wirkten die Atomexplosionen vom 6. und 9. August 1945 über den beiden japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki noch wie ein grelles Fanal, das der Menschheit die Gefahr ihrer globalen Selbstvernichtung vor Augen führte.
Damals hatte das atomare Wettrüsten der beiden Supermächte USA und Sowjetunion beängstigende Formen angenommen. Dagegen stand sowohl in Japan als auch in Westeuropa eine Friedensbewegung, die der Logik des Kalten Krieges die Gefolgschaft verweigerte und in Europa schließlich einen ihrer größten Erfolge erzielte: die Rücknahme der von den USA forcierten »Nachrüstung« mit Atomraketen und Marschflugkörpern, die das angeblich aus dem Lot geratene Gleichgewicht des Schreckens wiederherstellen sollten.
Heute, sechzig Jahre nach der ersten gezielten Massenvernichtung von Menschen durch Atombomben, sieht die Welt ganz anders aus. Der Ost-West-Gegensatz mit all seinen Gefahren für den Weltfrieden existiert nicht mehr. »Der Atomtod wird seit der ›erfolgreichen‹ Beendigung des Kalten Krieges weniger denn je als reale Möglichkeit empfunden« – zu diesem Ergebnis kommt der Japanexperte und Autor Florian Coulmas in seinem Buch »Hiroshima – Geschichte und Nachgeschichte« 1 .
Anstelle des Ost-West-Konfliktes sind jedoch neue Bedrohungen entstanden. Nicht erst seit dem 11. September 2001, dem Anschlag islamistischer Fanatiker auf das World Trade Center in New York, setzen global operierende Terroristen alles daran, die so genannte »schmutzige« Atombombe in die Hand zu bekommen, um damit gegen »Ungläubige«, insbesondere gegen die USA und andere westliche Länder, vorzugehen.
Zugleich arbeiten Staaten wie Iran und Nordkorea mit Macht darauf hin, eigene Atomwaffen mit einem entsprechenden Raketenpotenzial zu besitzen. Sie wollen mit Israel, der Volksrepublik China, Pakistan und Indien gleichziehen, die in den vergangenen Jahren ebenfalls Nuklearbomben entwickelt haben. Der Kreis der Atommächte wird immer größer – entsprechend steigt die Gefahr, dass in einem wieder für möglich gehaltenen begrenzten Atomkrieg die Atombombe auch tatsächlich eingesetzt wird. Syrien, Saudi-Arabien, Ägypten, Indonesien und sogar der Sudan werden von Experten als mögliche künftige Atommächte genannt. Und im Gegensatz zu den Jahrzehnten des Kalten Krieges, als die USA und die Sowjetunion sich auf Spielregeln für den Umgang mit Nuklearwaffen verständigt hatten, herrscht heute ein Wildwuchs, der die Gefahr eines Atomkrieges erheblich vergrößert.
Angesichts einer möglichen Atommacht Nordkorea hat in Japan zum ersten Mal eine Debatte über die Ausrüstung der Streitkräfte mit Atomwaffen begonnen. Seit vier Jahren betreibt die Regierung in Tokio unter offenem Bruch der pazifistischen Verfassung eine Politik der offensiven Landesverteidigung, die auch Einsätze außerhalb der eigenen Landesgrenzen ermöglicht. Japan gehört zu der von den USA gebildeten »Koalition der Willigen« im Irak und beteiligte sich 2003 mit tausend Soldaten am Krieg gegen den Golfstaat. Es handelte sich um den ersten Auslandseinsatz der japanischen Armee seit Kriegsende.
Vom zahlenmäßigen Umfang her haben sich die in der japanischen Verfassung gar nicht vorgesehenen Selbstverteidigungsstreitkräfte im Vergleich zu den 1980er Jahren zwar kaum verändert. Die etwa 250000 Soldaten sind allerdings in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit dem modernsten Kriegsgerät ausgerüstet worden, sodass sie heute im asiatisch-pazifischen Raum als eine schlagkräftige Streitmacht gelten.
Und Hiroshima? Spielen die hunderttausende Opfer, die vor 60 Jahren im nuklearen Feuersturm elendig umkamen oder mit schwersten Verbrennungen überlebten, im kollektiven Bewusstsein der Nachwelt keine Rolle mehr? Die heimtückischen Strahlenkrankheiten haben inzwischen zu einer zweiten Generation von Opfern geführt. Auch sie leben am Rand der japanischen Gesellschaft, oft unter jahrzehntelangen gesundheitlichen Qualen und andauernder Ausgrenzung und Diskriminierung. Von Beginn an wurde den »Hibakusha«, wie die Atombombenopfer in dem fernöstlichen Land genannt werden, ein angemessener Platz in der Gesellschaft verwehrt. Viele sind längst an den Folgen der
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