Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
immer noch nicht ganz mit seinem Studium fertig. Das heißt, sie war noch nicht in allen Punkten zur Verwirklichung von Plan A oder B durchgedrungen. Aber – sie wähnte sich immerhin auf dem Weg dorthin. Außerdem – und war das nicht die Hauptsache? – hatten sie sich lieb und freuten sich auf das Kind. Der Rest würde sich schon ergeben.
Dazu kam, dass sie angesichts des blauen Streifens jetzt doch erleichtert war, sich nach Jahren des Frösche-Küssens für dieses verlässlich-freundliche Exemplar entschieden zu haben. Immerhin war er kinderlieb, höflich und vernünftig. Außerdem nahm er keine Drogen – den gelegentlich in Maßen konsumierten »guten Rotwein« nicht mitgerechnet –, hatte immer ungefragt die Hälfte der monatlichen Pillenrechnung bezahlt und kam das erste Mal auf das Thema Heiraten zu sprechen, als sein Bausparvertrag fällig war. Zugegebenermaßen machten ihn diese Eigenschaften auch derart langweilig, dass sie ihn letztes Jahr im Urlaub auf den Malediven gleich mit einem strunzdummen, aber waschbrettbäuchigen Tauchlehrer hatte betrügen müssen, was zu einer dramatischen Beichtszene, einer überstürzten Abreise, einer tränenreichen Versöhnung und damit doch noch zu ein wenig Aufregung führte.
Sechs Jahre später – der Kindsvater lud gerade seine letzten Umzugskisten in den Kadett – war sie sich nicht mehr so sicher, ob es nicht mit einem der anderen Frösche vielleicht doch besser gelaufen wäre. Vielleicht ja. Aber wahrscheinlich nicht. Denn in Wahrheit fangen alle Männer irgendwann an zu nerven. Erstens, weil sie angesichts des notorisch schreienden Säuglings grundsätzlich völlig absurde Thesen aufstellen, woran es dem frisch gestillten, frisch gewickelten und frisch ausgeschlafenen Kinde akut mangeln könnte. Während man als Mutter natürlich intuitiv automatisch genau weiß, was dem Kind fehlt. Zweitens, weil das Leben mit ihnen von Jahr zu Jahr weniger Ähnlichkeit mit Plan B, geschweige denn mit Plan A hat.
Wieder allein, muss sich eine Frau deshalb spätestens an ihrem 36. Geburtstag selbstkritisch eingestehen, dass der charakterlich hochinteressante, beruflich hocherfolgreiche und dabei verboten gut aussehende Landschaftsarchitekt samt Passat Variant, Golden Retriever und großzügigem Landhaus offenbar weiterhin auf sich warten lässt. Diese zentrale weibliche Erkenntnis löst allerdings nur bei den Kinderlosen eine mittelschwere Lebenskrise aus. Bei den Müttern unter ihnen wird der Gedanke schnell vom Geschrei von Kind No. 1 übertönt, dem gerade von Kind No. 2 etwas Schwerwiegendes angetan wurde: die liebevoll aufgebaute Ritterburg verwüstet, das Vorschulheft bemalt oder ein Bauklötzchen auf den Kopf gehauen.
Hektisch hinstürzend und dabei aus Versehen über ein kunstvoll errichtetes Playmobilmännchen-Ensemble fallend, das sie später auf den Knien rutschend mühsam wieder aufbauen wird – »Nein, Mama, nicht so, die standen ganz anders!« –, dämmert es ihr, dass sie sich mitten in Plan C befindet. Und dass dieser Plan C zwar mit Kindern, Männern, Wohnungen und Arbeit zu tun hat, aber nicht ganz in der Weise, wie sie es sich in Plan A oder B ausgemalt hatte. Trotzdem ist Plan C – zwei Kinder gekriegt, dabei sieben Kilo in fünf Jahren zugenommen und auch sonst in fast allen Punkten bei der Umsetzung von Plan B gescheitert – immer noch viel besser als Plan D: einsames Warten, dass endlich Plan A oder B losgeht, während durch eisernes Diäten mühsam das Gewicht gehalten wird. Denn anders als die unzähligen fest angestellten, kinderlosen Akademikerinnen, die Jahr für Jahr unerbittlicher auf die Menopause zusteuern und sich die Mutterschaft trotzdem weiter für ihren fiktiven zukünftigen Ehemann aufsparen, ist man als Plan-C-Frau wenigstens so schlau gewesen, einem der fehlerhaften Verflossenen ein paar Kinder auf- bzw. abzuschwatzen.
Wo da der Vorteil liegt? Das ist doch klar: Die Jahre des Wartens auf die Umsetzung von Plan A vergehen ungleich schneller, wenn einem eine Schar Gören dabei Gesellschaft leistet. Oder anders gesprochen: Niemand beneidet einen alternden Single, der seine großzügige Freizeit ständig mit einsamen Schaumbädern in dem 24 Quadratmeter großen Badezimmer seiner abbezahlten Eigentumswohnung verbringen muss, dabei teuren französischen Rotwein aus langstieligen Gläsern trinkt und melancholischen Gedanken und diffusen Sehnsüchten nach der wahren Liebe nachhängt.
Wie viel glücklicher ist da doch die Radio
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