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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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Bushaltestellen, beim Einwohnermeldeamt, in der kilometerlangen Schlange vor dem DB-Reisecenter usw. Aus der Not machte sie erst eine Marktlücke und bald ihre erste Million: Sie entwickelte und vertrieb Software, die es noch dem chaotischsten Medizinmann mit den dümmsten Sprechstundenhilfen erlaubte, die Verweildauer im Wartezimmer konstant unter 15 Minuten zu halten. Sie gründete ein Bus-on-demand-Unternehmen, das wartende Fahrgäste in Sekundenschnelle via Satellit orten konnte. Sie erfand die Click-in-or-Drive-through-Super-Behörde, bei der man von der Geburtsurkunde bis zum polizeilichen Führungszeugnis alles in Sekundenschnelle online oder im Vorbeifahren beantragen konnte. Die amtlichen Dokumente bekam man dann selbstverständlich ohne Aufpreis binnen 24 Stunden zugestellt. Über ihre Erfolge schrieb sie in einer halbstündigen Mittagspause noch schnell das Buch Hate to wait . Wie ich überflüssiges Warten überflüssig machte , damit Millionen ungeduldiger Menschen glücklich und mich selbst steinreich , womit sie dann wiederum noch steinreicher und natürlich von Marietta Slomka in den Abendnachrichten zitiert wurde.
    Im zwanzigsten Jahr ihrer Firmengründung veranstaltete sie ein großes Fest, zu dem sie alle ihre Angestellten, Freunde und Bekannten einlud. Sie hatte aber nur Platz für 1299 Gäste, deshalb musste so mancher zu Hause bleiben. Das Fest ward dann auch in aller Pracht gefeiert, als kurz vor Mitternacht, man wollte gerade das prunkvolle 50 000-Euro-Feuerwerk zünden, eine der Nicht-Geladenen dennoch zur Türe hereingerauscht kam und sogleich bittere Flüche ins Mikrofon stieß. »Warum darf ich hier nicht mitmachen? Ich habe mich schon drei Mal beworben und nie wurde ich eingestellt! Meint ihr, ihr seid was Besseres? Aber wartet ab, bis morgen die Post zugestellt wird. Ja, verklagt hab ich diese Firma vor dem Arbeitsgericht, und eher steche ich mich an einer Spindel und falle tot um, als dass ich diesen Prozess nicht bis zum bitteren Ende durchfechte. Soll die Welt doch mal erfahren, was das hier in Wahrheit für ein verbrecherischer Haufen ist.«
    Und dabei sah sie die Gastgeberin so recht grausig an, dass diese trotz ihres leichten Champagnerrausches ein Schauder überlief.
    Vor Gericht konnte die verschmähte Bewerberin tatsächlich nachweisen, dass die Agentur seit Jahren systematisch vor allem gebärfreudige Frauen eingestellt hatte. Was natürlich ihr und allen anderen Kinderlosen gegenüber auf niederträchtigste Diskriminierung hinauslaufe. Von den vielen armen arbeitssuchenden Männern mal ganz zu schweigen. Die ein karrieregeiler Advokat übrigens gleich alle aufgespürt und zu einer Art genossenschaftlicher Sammelklage überredet hatte. Da konnte die Beklagte lange das Argument anführen, Muttis seien für die ausgeschriebenen Tätigkeiten einfach immer automatisch besser qualifiziert gewesen. Der Richter, gnadenlos, ließ das Argument nicht gelten und verdonnerte die Firma zu 257,6 Trillionen Euro Entschädigungszahlung an die abgelehnten Bewerber.
    »Aber, aber«, jammerte die Chefin. »Habe ich nicht alles Menschenmögliche getan, um im Umfeld meines Konzerns auch soziale Verantwortung zu übernehmen? Habe ich nicht Urlaubs- und Weihnachtsgeld wieder flächendeckend eingeführt, Betriebskindergärten gegründet, flexible Arbeitszeitmodelle möglich gemacht? Habe ich nicht vorbildlich mit flachen Hierarchien und eigenständigen Kreativteams gearbeitet? Und habe ich nicht auch jedes Jahr Gewinnüberschüsse in lokale Projekte investiert, in Jugend, Bildung, Forschung, Standortstärkung? Was kann ich denn dafür, dass mich daraufhin die halbe Nation mit ihren Initiativbewerbungen belästigt? Täglich fanden sich doch neue Kisten mit Umschlägen auf meiner Türschwelle ein. Mütter schickten ihre Töchter, Großväter ihre Enkel. Und als die eine von der anderen hörte, wie sie zu der Stelle gekommen war, da wollte sie sich selbst dasselbe Glück verschaffen. So kamen immer mehr und baten um Einlass. Dennoch habe ich niemanden unfreundlich abgewimmelt, sondern sprach allen gut zu, auch denen, die ich nicht nehmen konnte. Und die, die ich dann doch behielt, haben die es nicht immer gut bei mir gehabt? Nie hörten sie ein böses Wort aus meinem Munde und alle Tage gab es ein Lunchbüfett mit Gesottenem und Gebratenem auf Firmenkosten.«
    »Apropos«, sprach da der Richter. »Sie müssen gleich noch einmal so viel Strafe bezahlen. Weil nämlich auf den Becherchen, aus denen Ihre

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