Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
fraßen sich von Hügel zu Hügel, von Straßenzug zu Straßenzug. Noch bevor die Löschzüge die Brandstelle erreichten, hatte das Feuer ein enormes Ausmaß erreicht. Während herumfliegende Glut und Asche immer neue Brandherde erzeugten, begannen eintreffende Sicherheitskräfte die Gegend zu evakuieren. Polizeiwagen fuhren mit heulenden Sirenen durch die Straßen und warnten die Anwohner über Lautsprecher vor der herannahenden Gefahr. Hausbesitzer, die gerade noch in ihren Einfahrten gestanden hatten, um das Feuer aus vermeintlich sicherer Entfernung zu beobachten, fingen an Kinder, Haustiere und Gegenstände in ihre Autos zu packen. Die engen Straßen füllten sich schnell mit Fahrzeugen, die im dichten Rauch und zwischen herunterhängenden Stromkabeln nach einem sicheren Fluchtweg suchten. Kollidierte Autos blockierten die Fahrbahnen. Verwirrung und Panik breiteten sich aus.
Die Feuerwehr kämpfte hart darum, dem aggressiven Feuermeer Paroli zu bieten. Doch eine Stellung nach der anderen wurde von den Flammen erfasst. An mehreren Löschplätzen ging das Wasser aus, weil das Feuer die Stromzufuhr zu Pumpstationen zerstört hatte. Doch vor allem die mörderischen Böen erschwerten die Löschmaßnahmen. Dazu trug neben dem Teufelswind auch der in Großfeuern auftretende Kamineffekt bei: Das Feuer produzierte seinen eigenen Wind, was die Flammen zusätzlich anfachte. Auf dem Höhepunkt des Feuersturms wurde alle elf Sekunden ein Haus zerstört. Allein innerhalb der ersten Stunde gingen 800 Gebäude in Flammen auf.
Am Abend ließ der Wind endlich nach, und die Rettungskräfte bekamen die Flammen etwas besser in den Griff. Doch es dauerte zwei weitere Tage, bis das Feuer endgültig unter Kontrolle war. Die schreckliche Bilanz: 25 Todesopfer und 150 Verletzte, über 3800 zugrunde gerichtete Einfamilienhäuser und Wohnungen, und 5000 Menschen hatten kein zu Hause mehr. Später bezifferte man den materiellen Schaden auf 1,5 Milliarden Dollar.
Kurze Zeit später begann Shay Sayre, ein junger Professor vom Institut für Kommunikationswissenschaften der California State University in Fullerton, den Großbrand und seine Auswirkungen auf die Opfer wissenschaftlich zu untersuchen. Er fand 69 Anwohner, die sich zu ausführlichen Interviews bereit erklärten. Zusätzlich wertete er Presseberichte, Fotos, Videoaufnahmen, Tagebücher und Briefe aus. Auch Protokolle von Nachbarschaftstreffen und Workshops, die nach dem Brand abgehalten wurden, bezog er in seine Analyse ein.
Der Wissenschaftler machte schnell zwei unterschiedliche Opfergruppen aus. Die eine bestand aus Menschen, die evakuiert worden waren, aber nach dem Feuer in ihr unversehrtes Heim zurückkehren konnten; die andere aus solchen, die ihre Häuser und Wohnungen verloren hatten. Die Unterschiede waren gravierend. Für die »Nicht-Obdachlosen« war der Brand ein Ereignis, das sie in Schrecken versetzt und ihren Alltag gehörig durcheinandergebracht hatte; doch letztlich war er nicht mehr als eine Unannehmlichkeit. Für die »Obdachlosen« war es eine lebensverändernde Erfahrung, die viele von ihnen in eine tiefe persönliche Krise stürzte. Die Verständigung zwischen den beiden Gruppen stellte sich als sehr schwierig heraus. Das Feuer schien eine tiefe emotionale Schneise in die Nachbarschaft geschlagen zu haben. »Da sind die anderen, die Leute, deren Häuser nicht zerstört wurden, und da sind wir, die Leute, die es getroffen hat. Und keiner von denen kann verstehen, was wir verloren haben«, beschrieb einer, der obdachlos geworden war, die Kommunikationsprobleme.
Bewohner, die nach den Löscharbeiten in ihre Häuser zurückkehren konnten, stellten bei sich durchaus Veränderungen fest: Sie entwickelten eine höhere Wertschätzung für ihre Sachen, fühlten sich mit den Dingen in ihrem Umfeld stärker verbunden und nahmen die Vergänglichkeit materieller Objekte deutlicher wahr. Ihm sei klar geworden, erzählte beispielsweise ein Mann, dass ihm bislang gar nicht bewusst gewesen sei, welche Sachen wirklich bedeutsam für ihn sind: »Ich werde mir jetzt einen besseren Überblick verschaffen.« Die Nicht-Obdachlosen änderten ihre Einstellung gegenüber Besitz zum Teil erheblich. Dies war jedoch nichts im Vergleich zu den Reaktionen der Obdachlosen. Sie berichteten von starkem Ärger und quälendem Zorn über den Verlust der geliebten Sachen. Bei vielen waren auch Depressionen und Symptome posttraumatischer Belastungsstörungen zu erkennen. »Es ist schwer, die
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