Wir Tiere: Roman (German Edition)
Luft. Der Schneeball explodierte, und wir drei schauten zu, ein kleiner Sturm im Schneegestöber.
»Er hat recht«, sagte Manny, drehte sich abrupt zu mir um und zeigte mit dem Stock auf mich. »Du bist ein Arschloch. Gib’s zu.« Er hielt mir den Ast ganz knapp vor die Nase. »Gib’s zu.«
Dann war Joel hinter mir und hielt mir die Arme auf den Rücken gedreht fest. Ich versuchte, ihn abzuschütteln, aber es hatte keinen Zweck. Die beiden waren betrunken; Manny hielt mir den verdammten Ast direkt vor das Gesicht. Ich stellte mir die Schwellung vor, wenn der Ast mir an den Kopf knallte. Das wollte ich.
»Entweder bist du ein Arschloch, oder wir reißen ihn dir auf. Was darf’s denn sein?«
Schaut uns drei an, schaut, wie sie mich festhielten – sie wollten mich nicht loslassen.
»Na los, Manny, schlag mich mit dem Ast. Mal sehen, ob du dich dann besser fühlst.« Erst sprach ich mit fester Stimme, doch am Ende war sie leise, ein Flüstern, ein Flehen. »Schlag endlich zu, verdammt.«
Manny holte zweimal angetäuscht aus; ich zuckte immer zusammen. Dann seufzte er angewidert, und Joel ließ los. Der Ast fiel zu Boden.
»Ernsthaft«, sagte Manny leise, »du bist doch durchgeknallt. Bei dir ist echt was im Kopf nicht richtig. Darüber sollten wir mal reden.«
Das taten wir aber nicht. Wir konnten nicht.
Wir ließen uns noch eine Weile mit Schnee berieseln, das Weiß sammelte sich auf unseren Haaren, unsere Köpfe sahen aus wie Miniaturberge, bis wir schließlich schweigend übereinkamen, uns unter das Dach des Gebäudes zu stellen. Manny gab Joel und mir eine Zigarette, und wir rissen die Filter ab. Noch immer sagte niemand ein Wort, aber das Ritual nahm ein wenig die Spannung zwischen uns – die Flamme, das laute Ausatmen, die kleinen Qualmwolken.
Dann setzten langsam die Witzeleien und das Herumgealbere wieder ein, und ich stand am Rand, wie immer, bis Manny sich zu mir umdrehte.
»Weißt du, was sie neulich zu mir gesagt hat?«
Ich fragte nicht, wer mit »sie« gemeint war, ich wusste es.
»Sie sagte, du bist zu allem fähig.«
»Ja«, meinte Joel, »denselben Scheiß hat sie mir auch gesagt.«
»Sie sagte, du bist so klug.«
»So klug!«
»Und weißt du was noch? Sie sagte, du bist fähig, dich selbst zu zerstören.«
»Also, wie sie von dir spricht«, sagte Joel, »als ob du eine beschissene Kristallvase bist.«
Manny legte einen Arm um Joels Hals. »Ihrer Meinung nach sind wir beide von derselben Art.« Dann zeigte er auf mich. »Und du, du bist –«
»Ein verdammtes goldenes Ei.«
»Sie will, dass wir dich vor den anderen beschützen.«
Joel lachte. »Ja! Ich hab ihr gesagt, ist doch nicht so, dass wir immer noch in derselben Sandkiste spielen, Frau.«
»Und wir sollen dich vor dir selber beschützen.«
»Wir sind doch keine kleinen Jungs mehr.«
»›Er ist euer kleiner Bruder‹, hat sie gesagt, ›er wird immer euer kleiner Bruder sein.‹«
Schaut mich an, wie es mich juckte, endlich von dieser Laderampe wegzukommen; wie es mich juckte, diese schneereiche Stunde hinter mir zu lassen.
»›Nur, wenn er das auch sein will‹, hab ich gesagt.«
»Beschissenes heiliges Lämmchen.«
Ich reckte die Hände vor mir hoch, gab auf, ging rückwärts, behielt sie im Auge, bis ich an die Ecke des Gebäudes kam.
»Wo willst du denn hin, Mädchen?«
»Wo zum Teufel, glaubst du, gehst du hin?«
Ich ging bis zur Ecke, drehte mich um, den Weg hinunter, weg von ihren Sticheleien. Sie riefen mir nach, setzten ein wütendes Fragezeichen hinter meinen Namen. Ihre Stimmen dröhnten durch die dunkle, kalte Luft – wie Wellen, die von hinten gegen mich schlugen.
Sie riefen und riefen und kicherten, und die Bäume warfen ihren Lärm zurück.
Scheiße, sollten sie doch bellen.
Vielleicht stimmte es ja. Vielleicht gab es nirgendwo einen Jungen wie mich.
Spätnachts
I ch schlich mich davon und ging die drei Meilen zum Busbahnhof. Der Schnee fiel sanft und reichlich, und als ich mich umdrehte, waren meine Spuren bereits zugedeckt. Das war es, was ich hinter ihren Rücken angestellt hatte, mich auf dem Männerklo im Busbahnhof herumdrücken. Das war der Geruch, den sie gewittert hatten.
Ich verließ die Straße und nahm einen Trampelpfad, der durch eine Hecke geschlagen worden war. Der Pfad führte direkt zur Rückseite des Busbahnhofs. War der Parkplatz voll genug, konnte ich durch die Hecke tauchen und zwischen zwei geparkten Bussen hindurch aufs Klo gehen, ohne gesehen zu werden. Das brauchte
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