Wir Tiere: Roman (German Edition)
gebadet?«
Der Junge dreht den Kopf beiseite und blickt hinauf zu einer von der Decke baumelnden, sich abblätternden Farbzunge.
»Wann habe ich dich das letzte Mal gebadet?«
Der Junge schließt die Augen. Hört das Nuscheln, die müde Verwirrung in der Stimme des Jungen, der sagt: »Bitte, Paps, bitte. Lass mich allein, ich wasch mich selber.«
»Schsch«, macht der Vater. »Schsch. Niemand lässt dich allein. Nicht, wenn du so aufgeregt bist.«
»Ich bin erwachsen«, sagt der Junge. »Ich hab Rechte.«
»Jeder hat Rechte. Ein Mann, den man ans Bett gefesselt hat, hat Rechte. Ein Mann unten im Kerker hat Rechte. Ein kleines schreiendes Baby hat Rechte. Ja, du hast Rechte. Was du nicht hast, ist Macht.«
Am anderen Ende des Flurs öffnet die Mutter die Zimmertür ihres Sohns und schaltet das Licht ein. Schaut, wie sie sich am Türrahmen festhält. Sie flüstert laut mit niemandem, tritt ein.
Im Zimmer fährt die Mutter mit der Hand über den Schreibtisch des Sohns. Von der obersten Ablage des Wandschranks zieht sie eine Leinentasche. Alle Schubladen in der Kommode sind leer, also nimmt sie die Sachen vom Boden, schüttelt sie glatt und legt sie langsam ordentlich zusammen. Ein Stück nach dem anderen verschwindet in der Tasche.
Schaut, der Schnee liegt kniehoch auf dem Hausdach. Irgendwo jenseits der Schneewolken geht die Sonne auf. Das Licht wird von Minute zu Minute stärker. In der Einfahrt haben zwei Brüder den Motor des Pick-ups angeworfen; jetzt kauern sie in der Kabine. Die Abgase steigen aus dem Auspuff und schweben in der Luft; es geht kaum ein Wind. Kein Vogel begrüßt die aufgehende Sonne. In der Kabine halten die Jungs die Hände vor die Luftschlitze, schweigend reichen sie sich eine Zigarette hin und her. Der Ältere betätigt die Scheibenwischer, doch die wollen sich nicht rühren. Die Jungs schauen durch die Windschutzscheibe auf die graue untere Lage Schnee. Der Jüngere drückt die Kippe im Aschenbecher aus.
»Und?«
Schaut, der Vater legt den Lappen beiseite, geht durch das Zimmer hin zum Sohn, der nun mitten im Raum steht, und beginnt ihn auszuziehen. Er umfasst den Rücken des Jungen mit einer Hand, zieht das Hemd vorne aus der Hose und entblößt den Brustkorb des Jungen. Er legt ihn wieder hin, hebt die Arme an und stülpt ihm das nasse Hemd über den Kopf. Dann kämpft er mit der nassen Jeans und fischt erst einen Knöchel, dann den anderen heraus.
»Paps«, sagt der Junge.
Der Vater zieht dem Jungen die Unterhose aus, der Junge erhebt sich, und nun steht er nackt da. Der Vater betrachtet ihn, starrt ihn an. Seht den Jungen, nackt von Kopf bis Fuß, wie er in den Augen seines Vaters sucht.
Mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen betrachtet der Vater den Jungen, dessen Blöße. So als betrachtete er einen zu tiefen Schnitt oder blickte in einen zu hellen Morgen hinaus. Wieder ruft er den Sohn, » mijo« .
»Du riechst.«
»Das bin ich nicht.«
Der Vater drängt sich in ein Lachen, in seine Rolle. »Ja, das bist du, mein Junge. Du riechst gerade wie du selbst.«
Also geht es wieder zurück in die Wanne. Ein kleiner Wasserfall stürzt aus der Armatur. Die Flut steigt. In der Tasche des Vaters befindet sich ein Nagelknipser – der war schon immer dort, schon vor der Geburt des Sohns. Schaut, wie der Vater den Knipser zückt, die Feile aufklappt, tote Haut auspult und feilt und abknipst. Der Junge bleibt still und stumm. Der Vater bohrt die Spitze in den Fuß seines Sohns, bis der die Zehen krümmt und stöhnt.
»Kontrolle.«
Dann fährt der Waschlappen über die Fußballen des Jungen, über Ferse und Knöchel über den Spann bis in die Lücken zwischen den Zehen. Seit Jahren sind die Füße von niemand anderem mehr benetzt oder berührt worden. Der Vater erzählt von Kulturen, in denen es den größten Respekt bezeugt, einem anderen die Füße zu waschen, aber der Junge kann nur halb zuhören, denn da sind das Wasser und der Lappen und die Berührung, alles so brandneu und so vertraut. Schaut, wie er Luft einsaugt, schaut, wie die Luft stecken bleibt, ein spröder Klumpen im Hals.
Der Vater sitzt auf dem Badewannenrand, einen Fuß in der Hand, begutachtet, rubbelt, summt. Er lässt sich Zeit, fährt mit dem Waschlappen langsam eine Wade hinauf, dann die andere. Da ist die Nässe, die Berührung. Der Vater dehnt den Hals und schaut seinem Sohn ins Gesicht.
»Atmen, Junge, einfach atmen.«
Draußen vor der Tür lauscht die Mutter eine Weile und klopft dann. Sie ruft den
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