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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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schlechtgeht. Sie senkt den Blick. Sie zupft an dem Gesteck aus Blumen, die Rudi seit ein paar Tagen auf die Tische stellt. Sie streicht mit der flachen Hand über die dunklen Holzrillen.
    Weißt du, dass es Menschen gibt, die ihre Zunge nicht rollen können?, sagt sie. Ich meine: so eine Art Tunnel mit der Zunge machen. Hab ich gestern im Radio gehört. Denen fehlt ein Gen. Oder es ist kaputt oder so was, keine Ahnung. Bei manchen Menschen ist das einfach so. Das ist kein Phänomen unserer Zeit. Es ist einfach so. Man kann es nicht ändern, du kannst noch so oft trainieren oder zum Arzt gehen. Auf der anderen Seite, wozu soll man denn unbedingt seine Zunge rollen können?
    Ich will ihre Hand nehmen, aber sie zieht sie zurück.
    Die können nicht anders, sagt sie. Es gibt keine Medikamente. Man kann ihnen nicht helfen. Sie müssen sich damit abfinden. Sie müssen sich in ihrem Leben einrichten.
    Ich will sie küssen. Ich will sie ganz einschließen in meine Umarmung.
    Sie werden es nie können, sagt sie. Nie. Verstehst du das?
    In diesem Moment hält etwas die Zeit an. Ich senke meinen Blick und sehe alles ganz deutlich. Die Luftbläschen, die in meinem Bierglas aufsteigen. Sie streben immerzu nach oben, und es kommen immer neue nach. Das Licht macht aus dem Bier eine golden leuchtende Flüssigkeit, einen Sonnenuntergang. In den Holzrillen der Tischplatte Staub, einzelne Spreißel, hier und da ein Sandkorn, vielleicht direkt vom Atlantik.
    Ich kenne mich damit nicht aus, höre ich mich nach einer Ewigkeit sagen. Und ich höre mich selbst ausatmen. Und ich höre Theres ausatmen. Ich sehe Niko, wie er an unserem Tisch mit Rudi spricht. Rudi lacht. Ich sehe die Schnapsflaschen über dem Tresen, wie Vögel in einer Voliere. Ich sehe Menschen am Fenster vorbeigehen.
    Und dann drehe ich meinen Kopf und blicke direkt in Theres’ Augen. So schöne dunkle Augen. Und dann strahlt sie plötzlich und nimmt meine Hand.
    Ich habe ein Haus gefunden, sagt sie. Ich habe die Anzeigen in der Zypresse aufgeschlagen und habe es sofort gesehen. Es ist mir sofort ins Auge gefallen. Wieden im Wiesental. Wir könnten uns ein Auto kaufen. Was hältst du davon? Einen alten Fiesta oder einen Golf oder so. Dann können wir samstags in die Stadt fahren, auf den Münstermarkt zum Beispiel, oder abends ins Theater. Wir könnten uns eine kleine Sauna für den Winter bauen. Und einen Teich anlegen. Ich habe es mir schon angeschaut. Nichts modern Ausgebautes. So ein altes Schwarzwaldhäuschen mit einem Garten und einer alten Scheune. Es gibt auch einen Geräteschuppen. Ich will unbedingt wieder eine Werkstatt haben. Was meinst du? Was hältst du davon?
    Was?, sage ich.
    Wenn man vor dem Haus steht, sagt Theres, dann hört man die Bäche, die ins Tal stürzen. Und man hört den Wind, wie er in der Wiese rauscht. Ich hab mich in die Weide hinter der Scheune gelegt und habe in den Himmel geschaut, und das Heu hat mich in den Rücken gestochen, und es stank zwar nach Kuhfladen, aber direkt über dem Tal stand eine Dohle in der Luft, segelte da einfach auf der Stelle. Das hat so ausgesehen, als wäre sie innen hohl. Es ist dort ziemlich schön.
    Wovon redest du?, sage ich.
    Das Haus ist noch zu haben, sagt sie. Du könntest es dir anschauen. Wir müssen es ja nicht nehmen.
    Ich kann sie nur anstarren.

    16    Der Schlaf ist ein Umfallen der Körper, der Tag ist eine Kegelbahn. Wir befinden uns in der Welt der zerfließenden Uhren. Sie hängt in New York, ein überraschend kleines Bildchen in einem schwarzen Rahmen. Dalí muss viel geschlafen haben. Wir sollten auch mehr schlafen, die ganze Stadt vergessen. Die Straßen dichtmachen. Theres erscheint jede Nacht. Sie sitzt in einem Sessel, am Ende eines in die Perspektive fliehenden Raums. In Wahrheit ist die Erinnerung eine Sache der Geometrie. Theres’ Gesicht verzerrt. Augen, Nase und Mund neu gewürfelt. Keine Stimmung herrscht vor: weder Angst noch Traum. Nur Flächen, Räume, verdrehte Geraden. Am Morgen werde ich Brötchen kaufen und Kaffee kochen. Falls ich aus der Welt des Irrsinns heil herauskomme. Jeder Tunnel hat zwei Enden, nur die Nacht hat eins. Die Vernunft hat mich fett gemacht. Jemand zieht Tonnen über die Straße. Das Piepen des Müllwagens. Kindergeschrei. Wenigstens gurren die Tauben. Die Tauben dem Morgen, die Raben der Nacht. Eine Gleichung. Einfach. Genau. Nur der Wasserhahn tropft, und mit ihm tropfen die Minuten aus der Welt, und die Sonne wälzt sich zum millionsten Mal über

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