Wir zwei allein
die Kuppel aus Stein. Ich muss in die Straßen und die Kühle suchen, die noch ein kleines bisschen in den Tag gerettete Nacht. Ihr hinterher. Auf ihrem Rückzug in die Gässchen und in die Spalten im Stein. Ich habe keine Angst vor dem Abstieg in die Kanalisation. Dort denkt die Stadt ja weiter, die Schnecke hat sich nur zurückgeschlürft in ihr Haus.
17 Man fährt von Staufen aus durchs Münstertal, dann hinauf und über eine Kuppe. Und da kann man es schon unter sich sehen. Es ist ein kleines Haus mit schuppenartigen Schwarzwald-Schindeln, mit Fischhaut. Das Dach hängt tief über den Fenstern, das Haus wird nie richtig wach. Es gibt einen Schuppen auf der anderen Seite eines staubigen Hofs. Darin steht ein Traktor, vom Rost zerfressen. Zum Haus gehört ein Stück Weide am Hang dahinter. Dort stehen die Kühe vom Nachbarn und bimmeln. Über Wieden erhebt sich der Belchen mit einem dunklen Tannenwald. Die Tannen stehen wie Tour-de-France-Zuschauer an einer Steigung. Es riecht nach Harz und Dung, und manchmal rollen Autos die Passstraße vor dem Haus hinab.
Theres und ich gehen von Zimmer zu Zimmer, sie hat den Schlüssel unten im Dorf beim Vermieter geholt. Der Gang ist dunkel und eng, unter den Füßen knarzt es, die Tapeten sind aus den Fünfzigern, es stinkt nach Kuhstall und nach alten Teppichen.
Später sitzen wir auf der Bank an der Hauswand. Der Blick über das Tal und die Berge ringsherum. Die Stille. Der eigene Körper ist einem in dieser Stille viel näher.
Und wie soll ich zur Arbeit kommen?
Du kannst doch den Sprinter abends nach Hause nehmen, sagt sie.
Und wie kommst du zur Arbeit?, frage ich.
Du nimmst mich morgens mit in die Stadt und abends wieder zurück.
Und zu Rudi werden wir wohl gar nicht mehr gehen, sage ich.
In Wieden gibt es vier Gaststätten, sagt sie.
Und was ist mit dem Münstermarkt und mit dem Seepark und dem Alten Wiehrebahnhof und dem Schlossberg und dem Augustinerplatz und der Kaiser-Joseph-Straße?
Wir können doch jederzeit in die Stadt fahren, sagt sie. Es gibt sogar einen Bus.
Und wenn wir im Winter eingeschneit werden?
Riech doch mal, sagt Theres. Das sind Ginster und wilder Majoran und Kuhmist und Beifuß und Tannennadeln in der Sonne. Und schau, wie blau der Himmel ist. Und hör doch mal hin. Von überall fließt das Wasser ins Tal.
Theres, will ich sagen. Das ist unmöglich. Man kann nicht einfach so zusammenziehen. Man muss sich kennen, bevor man so etwas macht. Das will ich ihr sagen.
Ich bin dafür, dass wir das machen, sagt sie. Und du?
Ich schaue sie an, und sie lächelt und nähert ihr Gesicht meinem Nacken und drückt es dort hinein zwischen Ohr und Schlüsselbein und küsst mich.
18 Die Stadt ist jetzt leer. Alle sind wohl in ihren Wohnwagen an den Atlantik gefahren. Es staut sich die Hitze in den Gassen. Es ist eine Sonntagsstille, nur wenige Touristen sind unterwegs. Ecki ist im Urlaub in Spanien, mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern. Er kam vorgestern mit seinem V W -Bus angefahren und trug Espadrilles. Ich nehme vormittags Bestellungen auf und gebe sie an einen Ferien-Studenten weiter. Am Nachmittag fahre ich selber, aber nur bis drei oder vier, es herrscht die Augustflaute. Der Mais steht hoch. Überall der gleiche Geruch nach überreifem Sommer. Ein warmer Wind weht durch die Täler.
19 Wir könnten ein Gespräch führen, Theres. Ein richtiges Gespräch. Paare reden miteinander. Sie sagen sich Dinge. Wenn sich zwei Menschen lieben, dann hören sie einander zu. Sie sind ehrlich zueinander und lügen sich nicht an. Mein Partner soll: gut aussehen, Humor haben und vor allem ehrlich sein (Martina, 25). Wir könnten gemeinsam den Fakten ins Auge schauen, Theres. Du könntest mir von deinen Eltern erzählen. Was für eine Kindheit hast du gehabt? Wovon träumst du? Was fürchtest du am meisten? Und ich könnte dir von meiner Kindheit berichten. Ein Irokese gibt Auskunft darüber, woher er stammt. Stundenlang könnten wir uns unterhalten. Liebespaare legen ihre zwei Leben zusammen und haben nur noch eins. Sie erzählen sich zum Beispiel, ob sie mit Stefano weg gewesen sind.
20 Ich bin gerade dabei, Klamotten auszusortieren, sagt Theres. Wie viel Zeug sich über die Jahre ansammelt. Stell dir vor: Ich habe ein Kleid gefunden, das ich in Indonesien gekauft habe. Acht Jahre ist das her. Eigentlich ist es ein Wickelrock. Ein Sarong. Ich habe ihn nie getragen. Verrückt, oder? Man braucht gar nicht so viel. Was sagst du
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