Wir zwei allein
dazu? Ich schätze, uns werden etwa zehn Eimer Farbe reichen. Der Flur schaut furchtbar aus, bestimmt seit dreißig Jahren nicht gestrichen. Und die Tapete im Wohnzimmer erst. Wie vor dem Krieg. Ich will auch den Boden im ersten Stock neu verlegen, vielleicht Laminat. Außerdem werden wir den Schutt aus dem Schuppen entsorgen müssen. Und die Alte-Oma-Möbel müssen auch raus. Gott sei Dank hast du den Sprinter.
Theres, sage ich. Wir haben nicht einmal den Vertrag unterschrieben. Wir sind noch am Überlegen. Warte doch bis nächste Woche.
Warum denn?, fragt sie.
Keine Ahnung, sage ich. Es könnte etwas dazwischenkommen.
Was soll dazwischenkommen, sagt sie. Ein Meteoriteneinschlag? Ein Vulkanausbruch?
21 Ein Irokese hat keine Angst. Er hat die Unwetter am eigenen Leib erfahren. Er weiß, wie es ist, wenn das Land sich aufbäumt. Wenn der Himmel einbricht. Wenn alles um ihn zerfällt. Er weiß, dass der nächste oder übernächste Tag wieder Ruhe bringen wird. Denn das Land bleibt. Es hat nur manchmal Wut in sich und Zerstörungslust. Das Land bleibt, und das Land ist sein Zuhause. Es will ihm nichts Böses. Darum begrüßt ein Irokese den Schmerz und die Angst. Denn sie gehören zu dem Land wie das Glück, die Liebe und die Zuversicht. Nichts währt ewig. Weder er selbst noch der Tag, an dem das Tosen über ihn hereinbricht. Der Fluss wird weiterfließen, wenn es Morgen wird. Die Bäume werden im frühen Licht wieder rauschen. Und die Berge werden noch in hundert Jahren am selben Ort stehen. Keine Angst bleibt, nur das Land. Auch wenn der Irokese selbst längst nicht mehr darüber wandelt.
22 Die Sonne ist noch nicht zu sehen. Flächen aus Licht legen sich auf die Häuser, auf die Kronenbrücke, auf den Fluss. Orangegelbe Dreiecke, Trapeze, Rauten. Die Geometrie der aufwachenden Welt. Es ist noch kalt, ich fröstle in meinem T-Shirt, aber es ist die Geometrie dieses fahlen Lichts, ihr Sich-Ausprobieren in den möglichen Formen, das mich frösteln lässt. Die Geometrie hat den Menschen schon immer in ein metaphysisches Schaudern versetzt. Ich habe heute Nacht kein bisschen geschlafen. In dem Moment, als über dem Feldberg das Rosa des Himmels verschwindet und der ausgewaschene gelbe Ball erscheint, werfen die Heuballen und die Strommasten in den Wiesen lange Schatten. Als ich das Fenster öffne, strömt Feldgeruch ein. In letzter Zeit macht die Kupplung oft ein klagendes Geräusch. Hinter der Felsenge am Hirschsprung das Gefühl, in einen feuchten Wald einzutauchen. Der schwere Geruch von tropischen Blumen, von übergrünen Farnen.
Ich fahre beim Gasthaus Sternen auf den Parkplatz und steige aus. Nach Wieden sind es fünfzehn Kilometer. Man muss über den Schauinsland. Man kann auch über den Feldberg fahren. Beide Strecken sind steil und eng. Man kommt an vielen Schwarzwaldwiesen vorbei. Es blühen zurzeit violette und gelbe Blumen. Die Kühe stehen am Wegrand hinter einem Zaun und glotzen auf ihre debile Art. Von hier aus dauert es ungefähr eine halbe Stunde. Ich habe nicht mehr viel Zeit, wenn ich pünktlich kommen will. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen Vertrag unterschrieben habe.
Am Eingang zur Ravenna-Schlucht quält sich ein Regionalzug auf die Brücke, der Bach plätschert über die großen flachen Steine. Ich lege mich auf einen dieser Steine, über mir die Baumkronen, eine Bachstelze landet am Ufer, tippt mit dem Schwänzchen gegen das Wasser, schaut mich von der Seite an, fliegt davon. Durch die Sträucher sehe ich, wie ein Bus auf den Parkplatz biegt. Touristen steigen aus, der Führer sagt bestimmt etwas wie: Im Sternen organisierte sich die badische Revolution von 1848, Goethe verbrachte hier eine Nacht, Marie Antoinette machte hier Rast auf ihrem Weg von Wien nach Paris.
Ich rauche eine Zigarette. Ich setze mich an eins der Tischchen im Biergarten und bestelle Kaffee. Die Touristengruppe verschwindet im Eingang zur Ravenna-Schlucht. Die Bedienung räumt die zusammengeschobenen Tische ab, aus der Wirtschaft schwappt die Stimme eines Radiomoderators ins Freie. Der Verkehr auf der Straße ist dichter geworden, ich kann das Aufheulen der Motoren hören. In der ersten Kehre der Serpentinen schalten alle einen Gang tiefer.
Früher ging die Straße direkt hier vorbei, sagt die Bedienung. Sie ist neben mir stehen geblieben. Sie schaut hinauf zu dem Berggipfel, der uns noch Schatten spendet. Sie lacht, dann verschwindet sie im Haus.
Ich kippe einen Löffel Zucker in meinen
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