Wir zwei allein

Kaffee. Neue Wege gehen. Modern werden. Straßen umlegen. Fortschritt ist das Grundmerkmal der menschlichen Existenz, egal, wie primitiv sie ist und wie klein die Schritte in Richtung Glück und Zufriedenheit sein mögen. Ich kriege nur einen Schluck runter, Kaffee mit Zucker bleibt ungenießbar. Die Bedienung kommt zurück und stellt mir ein Tellerchen mit einem Croissant hin.
    Ein Geschenk, sagt sie. Sie trägt eine Silberkette um den Hals. Sie muss etwa zwanzig sein. An ihrer Sprache merkt man, dass sie aus dem Schwarzwald stammt, vermutlich studiert sie in der Stadt. Es wird heute warm werden, sagt sie.
    Ja, sage ich.
    Hier im Tal ist es aber erträglich. Sie lacht. Das Croissant liegt auf einer weißen Serviette, es ist einschüchternd groß.
    Im Schatten ist es ja ganz angenehm, sage ich.
    Ach, ich bin ganz gerne in der Sonne, sagt sie. Aber es darf halt nicht zu lange sein.
    Das stimmt, sage ich.
    Ich blicke hinauf zu einem der Gipfel, der dunkel über uns ragt. Vielleicht, so denke ich, sind die Schwarzwaldberge Leiber uralter Tiere, über die der Wald gewachsen ist. Tote Dinosaurier. Zu Fall gekommene, müde Riesen, die vor Urzeiten hier weideten.
    Manchmal glaube ich, dass diese Berge tote Dinosaurier sind, sage ich. Sie sind gestorben, und der Schwarzwald hat sie sich einverleibt.
    Aber nein, sagt die Frau. Dinosaurier waren nicht so groß. Das ist einfach hochgedrücktes Land. Wegen der dünnen Erdkruste im Oberrheingraben.
    Das wissen Sie wohl ziemlich genau, sage ich.
    Ich studiere Biologie und Geographie, sagt sie.
    Die Naturwissenschaften, sage ich. Eine tolle Sache. Instrumentelle Vernunft und so weiter. Adorno und Horkheimer. Dialektik der Aufklärung.
    Kenn ich nicht, sagt sie. Sind das Biologen?
    Eher nicht, sage ich.
    Wollen Sie Ihr Croissant nicht essen?
    Am Parkplatz zurück, lehne ich mich gegen den Sprinter. Das Blech ist schon warm von der Sonne. Ich drehe eine Zigarette. Der Termin ist um elf Uhr. Es ist Viertel vor elf. Wenn ich mich beeile, bin ich in einer halben Stunde da. Ein bisschen spät, aber das wird nicht schlimm sein. Ich könnte in den Sprinter steigen und losfahren. Ich könnte über den Feldberg fahren. Oder über den Schauinsland. Beide Strecken sind schön. Man hat einen Blick über die Ebene. Vor allem bei solchem Wetter. Und es riecht nach Wiese. Man kann das Zirpen der Insekten hören. Und manchmal fährt man in Schattenfelder, und dann ist der Schwarzwald direkt über einem. Ich könnte sofort in den Sprinter steigen.

    23    Liebe ist etwas sehr Schönes, Theres. Liebe geht um die ganze Welt. Liebe ist das, was wir dem Leben entgegenhalten können. Liebe ist der Grund dafür, dass es die Architektur gibt. Die Architektur ist der Stein und Glas gewordene Ausruf des liebenden Menschen. Der Mensch baut Häuser, die man im Winter heizen kann. Der Mensch baut in den Himmel. Liebe ist das Vergessen der eigenen Person. Und gibt es die eigene Person überhaupt, Theres? Gibt es nicht nur immer dieses Etwas, das auf Liebe wartet? Wir könnten uns gemeinsam den Dingen stellen. Wir könnten Hand in Hand auf das Schlimmste warten und über das Schlimmste lachen. Was ist überhaupt das Schlimmste im Angesicht der Liebe, Theres? Ich könnte dich fragen, wie es dir geht. Wo bist du gewesen? Hast du Stefano geküsst? Ich könnte dich von den schlechten Gedanken ablenken, indem ich dich auf gute Gedanken bringe. Nichts ist leichter als das. Ich verfüge über besondere Kräfte. Ich habe in mir einen Winkel entdeckt, in dem unendlich viel Zuversicht versteckt liegt. Jederzeit kann ich darauf zugreifen. Es ist alles eine Frage des Willens, Theres. Der Mensch ist frei. Er kann alles, was er will. Und er will alles, was er kann.

Wieden, Finstergrund

1    Der Ortskern von Wieden umfasst rund dreißig Häuser, drum herum gibt es ein paar verstreute Höfe. Man kann tatsächlich die Bäche hören, die von den Hängen fallen. Im Ortskern stehen eine Kirche und ein Rathaus mit Kurverwaltung und der Innenausbau/Fensterbau-Betrieb Behringer und Behringer. Viele der Häuser sind aus dunklem Holz. Kleine Fenster, tiefhängende Dächer. Etwas über dem Ortskern ist das Gasthaus Sonnenhang, es ist ein Touristenraumschiff. Im Ortskern gibt es das Hotel Hirschen mit Hallenbad und Kegelbahn. Brägele, Spätzle, Flammkuchen. Riegeler Landbier, Rothaus, Ganter. Es ist schwer vorstellbar, dass es eine Welt außerhalb von Wieden gibt. In der Hauptstraße des Ortskerns gibt es einen Laden. Man kann