Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
Vom Netzwerk:
weil doch jetzt wieder der Winter kommt. Aber man fühlt sich einfach gut, es fügt sich endlich alles zusammen. Man hat das Gefühl, dass alles gut ist, weißt du, was ich meine? Man fühlt sich wohl in der eigenen Haut. Verrückt, oder?
    Theres, sage ich. Beruhige dich doch.
    Ich bin ganz ruhig, sagt sie. Ich will dir nur sagen, dass das alles verrückt ist, weißt du, was ich meine? Dass alles plötzlich durcheinanderging. Weil doch alles eigentlich gut ist.
    Was ging durcheinander, Theres?
    Na, alles eben. Dass ich da durch die Stadt gehe und die Sonne scheint und die Blätter gelb und rot leuchten und überall Studenten sind und Familien und dass ich nichts Schlimmes erwarte. Dass ich eigentlich zufrieden bin, verstehst du? Dass ich eigentlich noch denke, dass ich dich vermisse und dass ich mich freue, dich heute Abend zu sehen. Dass man nichts anderes braucht im Leben. Dass ich damit zufrieden bin, wie alles ist.
    Ich schiebe meinen Stuhl zurück und stehe halb gebückt auf. Mit der Hand an der Stirn taste ich mich zur Tür vor und knipse das Licht an. Theres ist in sich zusammengesunken. Ihre Hände umklammern die Teetasse, als wäre sie der einzige Halt, der sie vor dem Zum-Boden-Gleiten bewahrt.
    Theres, sage ich und setze mich hin. Wovon redest du?
    Ich weiß auch nicht, sagt sie. Man erwartet das ja nicht.
    Was erwartet man nicht?, frage ich.
    Dass sich alles verändert.
    Was soll sich denn verändern? Wir wohnen jetzt in Wieden. Was soll sich denn noch verändern?
    Dass man eben zufällig, verstehst du, sagt sie. Ich meine, dass man herumläuft und dann zufällig, dass man ums Münster herum und die Kaiser-Joseph-Straße entlang und am Theater vorbei runter zur Konzerthalle, verstehst du? Dass man da kurz stehen bleibt vor dieser Konzerthalle, zum Eingang schaut, alles zufällig, dass man da vielleicht eins dieser Plakate anschauen will, die klassische Konzerte ankündigen, dass man da ganz zufällig in Richtung Eingang sieht, und man hat gar keine Gedanken gehabt an irgendwas Konkretes, dass eben alles zufällig, und dass dann eins zum anderen und dass man.
    Theres!, sage ich.
    Sie fährt zusammen, senkt den Blick, ihre Fingerknöchel an der Tasse treten weiß hervor.
    Woher soll man auch wissen, murmelt sie, dass er gerade in der Stadt, und außerdem wollte man ja nur spazieren, weil es so ein schöner Sommer- oder Herbsttag ist, und man rechnet mit solchen Dingen kaum. Dass man ausgerechnet Stefano, das ist doch ziemlich überraschend, oder nicht?
    Stefano?, sage ich.
    Theres lacht. Ja eben, sagt sie.
    Du hast Stefano getroffen?
    Ich bin schwanger, sagt sie. Sie atmet aus. In diesem Moment fällt die Teetasse um. Der Tee breitet sich langsam über die Tischplatte aus. Ich bin schwanger, sagt sie. Verrückt, oder?
    Für einen Moment kann ich sie nur anstarren. Du hast Stefano getroffen?, höre ich mich sagen.
    Vor zwei Monaten schon, sagt sie.
    Ich dachte, er ist jetzt ganz nach Stuttgart gezogen.
    Ist er auch.
    Du hast ihn im Herbst getroffen?
    Na ja, sagt Theres. Vielleicht auch schon im Sommer.
    Du erfindest das, oder?, sage ich.
    Er hat hier demnächst ein Konzert. Wir könnten hingehen, wenn du magst. Er schenkt uns bestimmt zwei Karten.
    Theres, sage ich.
    Ich meine ja nur. Wenn du Lust hast.
    Du warst in Stuttgart, sage ich.
    Nur ein- oder zweimal, sagt sie. Im September. Er hat mir sein neues Orchester vorgestellt. Ich durfte sogar eine Probe anhören. Die spielen ein Ballett von Tschaikowsky. Das ist sehr schön. Das musst du hören.
    Und du hast bei ihm übernachtet, sage ich.
    Ein Hotel wäre zu teuer gewesen, sagt sie.
    Und jetzt kriegst du ein Kind, sage ich.
    Theres schüttelt den Kopf. In den ersten drei Monaten kann es noch Komplikationen geben, sagt sie.
    Du kriegst ein Kind, sage ich.
    Es ist noch nicht sicher, sagt sie.
    Der Tee auf dem Tisch ist zum Stillstand gekommen, kurz vor der Kante. Plötzlich muss ich lachen. Warum ist der Tee nicht über die Tischkante gelaufen? Wollte er nicht in die Tiefe? Ist das nicht inkonsequent? Meine Kopfschmerzen sind verschwunden. Überhaupt gibt sich alles um mich herum jetzt in einer Schärfe zu erkennen, in einer bauchigen Körperlichkeit, dass mir zum Lachen zumute ist. Ich versuche zu rechnen. August, September, Oktober, November. Es will mir nicht gelingen. Zwei Monate? Drei Monate? Vier?
    Ich verstehe, dass du böse bist, sagt Theres.
    Ich höre mich wieder lachen. Und jetzt?, sage ich.
    Sie schaut mich irritiert an. Was meinst du damit?,

Weitere Kostenlose Bücher