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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Wohnung hatten und in einem Bett schliefen, war sie jeden Tag unglücklich. Sie wollte nicht mehr ausgehen, sie hatte keine Lust auf nichts. Und dann hatte sie eines Tages Krebs. Es war Krebs in der Gebärmutter. Sie musste ins Krankenhaus. Und kaum war sie dort und hatte wieder ein Zimmer für sich allein, ging es ihr von Tag zu Tag besser, und sie spazierte sogar im Krankenhauspark, und dann war der Tumor weg, und sie durfte wieder nach Hause. Aber sie wollte nicht mehr. Sie mietete sich eine Wohnung in der Stadt. Hätte sie von Anfang an ein eigenes Zimmer gehabt, dann wäre das alles nicht passiert. Verrückt, oder?
    Diese Geschichte hat dir Stefano erzählt?, frage ich.
    Ja, sagt Theres. Vor ein paar Tagen.
    War er in der Stadt, Theres?
    Nein, wir haben telefoniert.
    Theres hat das Badezimmer mit Postkarten ausgekleidet. Es sind Postkarten aus Barcelona: Sagrada Família, Park Güell. Aus Stockholm: Kungsholmen. Aus Budapest: die Donau. Sie sind an niemanden adressiert. Aber auf allen stehen Grüße und dass es ihr gutgeht.
    Stell doch dein Regal mit den Büchern hier auf, sagt sie und deutet auf die Ecke hinter dem Sofa.
    Ich will die Bücher lieber nicht mehr sehen, sage ich. Warum kaufen wir nicht noch eine Yucca-Palme? Oder einen Ficus?
    Können wir auch, sagt Theres.
    Ich trete auf sie zu, aber sie stellt sich ans Fenster. Jetzt ist sie nur als dunkle Gestalt zu sehen gegen das Licht.

    11    Vorgestern war wieder der 11. September, zum zehnten Mal. Ich habe es drinnen nicht ausgehalten. Das Haus ist mit Holz ausgekleidet, es knarrt bei jedem Schritt, und aus den Ecken mieft es. Die Decken sind niedrig, in der oberen Etage muss ich den Kopf einziehen. In den Fenstern des Wohnzimmers Vorhänge mit roten Blumenmustern. Die Fenster sind klein. Wenn keine Lampe brennt, herrscht tagsüber ein winterliches Zwielicht. Theres an ihrer Nähmaschine. Dieses Rattern. Ich gehe mal raus, habe ich gesagt. Sie hat nicht mal aufgeschaut.
    Ich stehe einige Minuten im Hof. Ich kann den Friedhof und die Kapelle auf der anderen Seite des Tals fast mit der Hand berühren. Der tiefste Punkt des Tals ist nicht zu sehen, ein Loch ohne Boden. Ich steige am Bach entlang in den Ortskern hinab. An der Kirche, versteckt in den Ästen einer Eibe neben einem Holzkreuz, ein Schild: Gasthaus Bergblick. Ich folge dem Pfeil, es geht an alten Holzhäusern vorbei, aus Wieden raus, über eine steile Straße nach oben, zu beiden Seiten Zäune.
    In der Stube sitzt ein alter Mann vor einem Fernseher, in seinem Rücken ein grüner Kachelofen. Er kritzelt in einem Kreuzworträtsel herum. Er erschrickt, als er mich sieht.
    Haben Sie geöffnet?, frage ich.
    Er folgt mir mit dem Blick, während ich den Raum durchquere. Die Tische sind verschoben, einige stehen an den Wänden, als wäre die Saison für Gäste vorbei.
    Riegeler, sagt der Mann, als ich mich hingesetzt habe.
    Was?, sage ich.
    Nur Riegeler, sagt er.
    Auch Landbier?, frage ich.
    Er schaut mich lange an. Er hat ein Muttermal über der Oberlippe, leckt sich mit der Zunge über die Zähne. Er denkt angestrengt nach, stemmt sich dann vom Tisch hoch und schlurft in Zeitlupe zu einem Tresen, auf dem Gläserkartons und leere Getränkekisten stehen. Er verschwindet in einer Tür hinter der Theke, und ich kann hören, dass er etwas ruft. Ich fange an, mir eine Zigarette zu drehen. Plötzlich steht eine ältere Frau an meinem Tisch, die Haare orange gefärbt, aber zu einem großen Teil grau rausgewachsen, sie hat gelbe Fingernägel, trägt eine Lammfellweste, eine Jogginghose und Pantoffeln.
    Möchten Sie etwas trinken?, fragt sie.
    Ein Riegeler Landbier, sage ich.
    Ein Landbier, kommt sofort.
    Aber sie bewegt sich nicht. Sie starrt auf meine Zigarette. In ihrem Gesicht formt sich ein listiges Lächeln.
    Gibt es das noch?, sagt sie. Hier oben hat inzwischen jeder damit aufgehört.

    12    Der Oktober riecht wie immer nach Rauch und überreifen Maisfeldern. Die Farben der Bäume um Hinterzarten leuchten, es gibt kein schärferes Gelb, keine Leber ist so rot. Bei Rudi hängen jetzt wieder Decken vor dem Eingang. Die Schachspieler sind neuerdings der Meinung, dass alles noch schlimmer ist als bisher angenommen. Wenn nicht China, dann Afrika. Wenn nicht Nordkorea, dann die Araber. Und wenn nicht der Mensch selbst, dann der Klimawandel mit seinen Flutwellen.
    In den letzten Wochen habe ich Theres in verschiedene Dörfer um Wieden gefahren. Setz mich einfach ab. Ich will ein bisschen spazieren. Sie

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