Wirrnis des Herzens
»Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«
Schon wieder musste Lord Beecham lachen. Er hustete.
Helen setzte sich ihm gegenüber und strich ihre Röcke glatt. »Fehlt Ihnen etwas?«
»Nein, mir geht es gut. Sie haben also nicht mit Douglas geschlafen?«
»Ehrlich gesagt befürchte ich, er war gar nicht interessiert.« Sie lächelte traurig. »Für ihn war ich nur ein kleines Mädchen. Für mich aber war er ein Gott. Ich hätte ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, die Schläfen mit Rosenwasser abgetupft. Ich hätte ihn mit Weintrauben gefüttert. Ich hätte ...«
»Das reicht!« Lord Beecham verzog das Gesicht und streifte sich ein Paar weiche Wildlederhandschuhe über.
Schamlos erwiderte Helen seine Grimasse.
»Sie wollten mir doch erzählen, warum Douglas so ver-ärgert wäre, wenn er wüsste, dass Sie mich gefunden haben«, begann Lord Beecham. »Sie sind noch nicht zum Punkt gekommen. Und was sollte die Geschichte von Gray und seiner Frau?«
»Douglas, Alexandra und ich haben die beiden letzte Woche besucht. Alexandra ließ bei dieser Gelegenheit Ihren Namen fallen. Sie sagte, Sie wären ein Mann mit Erfahrung und Talent und außerdem wunderbar verrucht. Sie hoffte, mich damit endlich von Douglas abbringen zu können. Douglas erwiderte daraufhin, dass das nicht der Wahrheit entspräche. Er sagte, Sie würden zwar immer so tun, als vereinten sich die Qualitäten der besten Liebhaber Englands in Ihrer Person, wären seiner Meinung nach aber in Wirklichkeit nur ein gewöhnlicher Langweiler.
Als er sah, dass mich das nur noch neugieriger machte, sagte er in seinem Gutsherrenton, dass ich mich gefälligst von Ihnen fern halten solle. Sie würden bloß meinen Ruf beschmutzen und mich dann in der Gosse liegen lassen.
Ich erwiderte, dass er doch selbst behauptet hatte, Sie in Lasterhaftigkeit zu übertreffen, Alexandra bisher aber auch nicht in der Gosse gelandet war. Darauf entgegnete er, dass Alexandra einfach zu Mitleid erregend wäre. Er habe schlichtweg keine andere Wahl, als ihr treu zu bleiben und sie glücklich zu machen. Und das tut er auch.«
»Was tut er?«
»Er macht sie glücklich. Nun, Alexandra mag Sie. Sie hat mir erzählt, dass Sie sie verführen wollten.«
Er schlug seinen Stock auf den Boden der Kutsche. »Verdammte Weibsbilder. Ihr kennt scheinbar nichts Schöneres, als euch über die Fehltritte gutgläubiger Männer auszutauschen und das immer und immer wieder. Es ist mittlerweile acht Jahre her. Alexandra war gerade erst mit Douglas verheiratet. Er war ein Esel und sie, so dachte ich zumindest, reif genug, um gepflückt zu werden. Aber Stattdessen klammerte sie sich an ihren Baum. Sie war unvorstellbar grün hinter den Ohren, allzu naiv und - zu meinem Leidwesen -äußerst begehrenswert.«
Er grinste über seine eigenen Worte und zuckte mit den Schultern. »Zunächst war unser Verhältnis ziemlich angespannt, mit den Jahren haben wir es aber geschafft, uns trotz allem wieder normal und freundlich unterhalten zu können. Ich mag Alexandra auch.«
»Sie wollen also sagen, dass es Ihnen schwer fiel, eine Frau zu mögen, die sie nicht verführen konnten?«
Verärgert blickte er Helen an und verschränkte die Arme, wissend, dass die Geste einschüchternd wirkte. »Um genau zu sein, ich kann mittlerweile mehr als eine halbe Stunde in ihrer Gegenwart verbringen, ohne ihre Brüste anzustarren.« Das dürfte genügen, dachte er zufrieden. Er würde diesem schamlosen Küken doch nicht erlauben, provozierender zu sein, als er es selbst war. Er musste die Oberhand behalten. Außerdem drängte die Zeit. In einer Stunde schon würde es zwei Uhr sein. Bis dahin konnte er es unmöglich schaffen, Helen Mayberry ins Bett zu bekommen. In Gedanken ließ er die langsam untergehende Sonne durch das Schlafzimmerfenster dringen. Das sanfte Licht der Dämmerung umspielte ihren Körper. - Er räusperte sich.
»Dreißig Minuten ohne einen einzigen Blick?«, fragte Helen. »Man sollte Sie heilig sprechen.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Nun wissen Sie, warum ich Sie treffen wollte. Ich suche einen Mann, der sich unter Kontrolle halten kann, der weiß, was zu tun ist, seine Vorhaben verfolgt und zu einem zufrieden stellenden Ende führt. Ich suche einen Mann mit Charme, Verstand und sehr viel Erfahrung. Einen Mann, der die Spreu vom Weizen trennen kann.«
»Was meinen Sie damit?«
»Das war eine Metapher, Lord Beecham. Es bedeutet, dass man Wesentliches von Unwesentlichem trennen
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