Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
es ausgerechnet Putin, der Anfang 1996 die Petersburger Regionalverwaltung der Regierungspartei »Unser Haus – Russland« und Sobtschaks Wahlkampfstab leitete. Für den Mai war die Wahl des Gouverneurs angesetzt. Sobtschaks Lager zweifelte nicht an seinem Sieg, und niemand machte sich überhaupt Gedanken, ob Putin über ausreichend politische Erfahrung zur Lösung schwieriger Aufgaben verfügte.
Währenddessen fand in Moskau ein Treffen von Sobtschak und Jelzin statt, das dem Bürgermeister von Petersburg einen schicksalhaften Schlag versetzte und unseren Helden zum wiederholten Male um ein Haar unter die Erde brachte.
Kapitel 6: Sobtschaks Scheitern – die Reise von Sankt Petersburg nach Moskau
Anatoli Sobtschak war nicht nur einfach der »Hausherr« der nördlichen Hauptstadt, sondern auch eine Kultfigur des demokratischen Lagers. Viele waschechte Demokraten der ersten Welle, also die Säulen der Bewegung »Demokratisches Russland« von 1990/91, waren zum Ende von Boris Jelzins erster Amtszeit mehr als enttäuscht von ihrem einstigen Idol. Die einen störte Jelzins unkontrollierter Hang zum Alkohol, der nicht selten zu Blamagen und internationalen Skandalen führte. Man erinnere sich nur daran, wie der erste russische Präsident im Sommer 1994 in schwer alkoholisiertem Zustand anlässlich der Verabschiedung der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland stationierten russischen Streitkräfte in Berlin ein Militärorchester dirigierte. Vor dem Hintergrund der Trauerstimmung, in der sich an diesem Tag die Söhne des zusammengebrochenen Imperiums befanden, wirkte Jelzins Benehmen geradezu blasphemisch.
Oder 1995: Der Kremlherr wurde am Flughafen Shannon erwartet, aber er kam und kam nicht aus der Maschine und ließ das Treffen mit dem Premierminister von Irland platzen. Jelzins Leibwächter Alexander Korschakow erinnerte sich daran, dass der russische Präsident in der Luft auf dem Weg nach Shannon einen Mikroinfarkt erlitten hatte. Das russische Volk und die »progressive Öffentlichkeit« hingegen waren sich sicher, dass sein Alkoholmissbrauch das Problem gewesen war.
Nach dem Vorfall von Shannon erhielt Boris Jelzin einen besorgten Brief von sechs seiner Assistenten: Alexander Korschakow, Michail Barsukow (Leiter des Föderalen Dienstes für Bewachung, der sich um die Sicherheit aller hochgestellten Personen mit Ausnahme des Präsidenten sorgte), Viktor Iljuschin (engster Mitarbeiter, der für die wichtige Frage des Terminplans von Boris Jelzin zuständig war), Dmitri Rjurikow (Assistent und Chefanalytiker für internationale Angelegenheiten in der Kreml-Administration), Wjatscheslaw Kostikow (Pressesprecher) und Ljudmila Pichoja (Redenschreiberin). Der Hauptgedanke dieses Briefes war folgender: Der erste demokratisch gewählte Präsident der Russischen Föderation habe die Verbindung mit der Gesellschaft verloren, verschließe sich in seinem Elfenbeinturm und entferne sich von seinen wichtigsten Anhängern und Mitstreitern.
Faktisch wurde ihm damit gesagt: Hör auf zu trinken und auszuspannen, und kehre zurück zur politischen Aktivität der früheren »Blütejahre« (1990/91). Korschakow schreibt in seinen Memoiren Boris Jelzin: Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang, der Präsident habe deutlich seine Verärgerung über den »respektlosen« Brief gezeigt, aber keinen der Beamten entlassen, die den besorgten Geheimbrief unterschrieben hatten. Allerdings ist anzumerken, dass keine der genannten Personen mehr zu Jelzins späterer Mannschaft gehörte, die sich dann zusammen mit Wladimir Putin in das neue politische Zeitalter hinüberrettete. Der erste russische Präsident, der später zu einem Mythos wurde, konnte nicht nur Größe zeigen, sondern auch Rachsucht.
Viele waren zu dieser Zeit verärgert über das Eindringen der alten kommunistischen Parteinomenklatura in Jelzins enges Umfeld. Exemplarisch dafür stand Viktor Tschernomyrdin, russischer Ministerpräsident von 1992 bis 1998. Zur selben Zeit gerieten andere, die mit der »Generation demokratischer Reformen« in Zusammenhang gebracht wurden, ins politische Abseits. Nein, die reformatorischen Ideen selbst – beginnend mit der »großen Privatisierung« bis hin zur Integration neuer Eliten in die westliche Welt – waren nicht verloren gegangen und wurden nach wie vor umgesetzt. Nur die Dividenden ihrer Umsetzung kamen häufig nicht denen zugute, die der Meinung waren, sie für sich beanspruchen zu können.
Der eigentliche Stein des
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