Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
Anstoßes jedoch waren selbstverständlich die Präsidentschaftswahlen 1996. Die Parlamentswahlen im Dezember 1995 hatten die Kommunisten souverän für sich entschieden, indem sie mehr als 22 Prozent der Stimmen erhielten. Die offizielle Regierungspartei »Unser Haus – Russland« erhielt fast ein Drittel weniger – nur etwas mehr als 8 Prozent der Stimmen. Und die Partei »Demokratische Wahl Russlands«, eine politische Struktur, welche die Liberalen hinter Gaidar vereinigte, schaffte es überhaupt nicht ins Parlament.
Der Anführer der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, machte damals keinen Hehl daraus, dass er bereit war, Jelzins Platz im Kreml einzunehmen. Jelzins Umfragewerte sanken auf 2 bis 3 Prozent, das russische Volk war äußerst enttäuscht von dem Mann, den es wenige Jahre zuvor noch auf Händen getragen hatte. Jelzins Demokratie hatte sich nicht als Paradies auf Erden erwiesen, woran die Russen Ende der 1980er-Jahre aufrichtig geglaubt hatten. Stattdessen hatte sich das Lebensniveau jäh verschlechtert, und vor allem war das sowjetische Sozialsystem, das zuvor eine Selbstverständlichkeit gewesen war, in sich zusammengefallen.
In dieser Situation sank die Wahrscheinlichkeit, dass Jelzin auf demokratischem Weg die Wahlen gewinnen würde, gegen null. Im »demokratischen« Lager fing man an, über Alternativen nachzudenken. In diesem Zusammenhang fiel der wohlklingende Name Sobtschak, und auch der Bürgermeister der Stadt Sankt Petersburg selbst, ein äußerst ambitionierter Mann, der noch nie an Selbstunterschätzung gelitten hatte, war eigentlich nicht dagegen.
Die Apokryphen besagen, dass Sobtschak im Januar 1996 von Jelzin vorgeladen und ganz direkt gefragt wurde: Sollte der Präsident (Jelzin sprach des Öfteren in der dritten Person über sich) für eine zweite Amtszeit kandidieren? Die Antwort auf diese Frage war dem Präsidenten durchaus bekannt, aber er wollte Sobtschak mit dieser Heuchelei auf die Probe stellen. Wäre Sobtschak ein erfahrenerer Apparatschik gewesen und hätte er weniger an sich selbst gedacht, dann hätte er mit »Ja« geantwortet und wäre das Oberhaupt von Petersburg geblieben. Zusammen mit ihm wäre auch Putin der nördlichen Hauptstadt erhalten geblieben, und wir würden heute jemand völlig anderen auf der Bühne der russischen Politik des 21. Jahrhunderts sehen.
Aber Sobtschak beging vom Standpunkt der Logik des Staatsapparats gesehen einen schicksalhaften Fehler. Er gab Jelzin klar zu verstehen, dass dessen Chancen auf einen Wahlerfolg minimal seien und er, solange es noch nicht zu spät sei, bei den Wahlen besser auf … den Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin setzen solle, den altgedienten Kameraden des Petersburger Bürgermeisters in der Regierungspartei »Unser Haus – Russland«. (In seinem tiefsten Inneren meinte Sobtschak natürlich sich selbst und hoffte, Jelzin würde Vernunft annehmen.)
Und das tat dieser dann auch. Als er begriffen hatte, dass der Petersburger Bürgermeister ein unzuverlässiges Glied in der Kette war, beauftragte Jelzin seinen nächsten Vertrauten in dieser Zeit, den Chef des präsidialen Sicherheitsdienstes Alexander Korschakow, sowie den ersten Stellvertreter des Regierungschefs Oleg Soskowez, bezüglich der anstehenden Wahlen in Sankt Petersburg für Sobtschak einen starken Konkurrenten zu finden und einen Machtwechsel in der Stadt sicherzustellen.
Korschakow und Soskowez engagierten Wladimir Jakowlew, Sobtschaks ersten Stellvertreter, der für die Wirtschaft und die Bauvorhaben der Stadt verantwortlich war. Und auch wenn die liberalen Kreise aus Petersburg wie ein Mann hinter Sobtschak standen, verlor der Bürgermeister die Wahl. Die alleinige Verantwortung für diese ungeheuerliche, vielsagende Niederlage musste der formelle Leiter des Wahlkampfstabs, Wladimir Putin, auf sich nehmen.
Zu diesem Zeitpunkt brach über Putin erneut das Unglück herein. Seine Datscha bei Sankt Petersburg brannte ab. Dabei musste der künftige Präsident mit nur einem Morgenmantel auf der nackten Haut einen Koffer mit Bargeld retten – wie einige Quellen behaupten, waren darin nicht weniger als 15 Millionen Dollar. (Schon damals traute Putin den Banken nicht recht.) Kurz darauf erlitt Putins Frau Ljudmila einen Autounfall, der sich unabänderlich auf ihre Gesundheit auswirkte – somatisch und leider auch psychisch. Eigentlich war es dieser Unfall, der die Familie zerbrechen ließ. Wladimir und Ljudmila kamen sich als Mann und
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