Wo die Nacht beginnt
Termine beim Zirkel von St. James Garlickhythe und meines fortbestehenden Interesses an Marys alchemistischen Experimenten verbrachte ich immer mehr Zeit außer Haus, während das Hart and Crown weiterhin als Versammlungsort für die Schule der Nacht und als Zentrum für Matthews Aktivitäten diente. Boten kamen und gingen mit Nachrichten und Schreiben, immer wieder schaute George in der Hoffnung auf ein Gratisessen vorbei und berichtete dabei von seinen vergeblichen Versuchen, Ashmole 782 aufzuspüren. Hancock und Gallowglass gaben unten ihre Wäsche ab, um dann stundenlang knapp bekleidet vor unserem Kamin auszuharren, bis sie ihnen wiedergebracht wurde. Kit und Matthew hatten nach der Sache mit Hubbard und John Chandler einen wackligen Waffenstillstand geschlossen, und so fand ich den Stückeschreiber oft im Salon vor, wo er abwechselnd mürrisch in die Luft starrte oder wie ein Wilder Texte verfasste. Dass er sich dabei aus meinem Papiervorrat bediente, ärgerte mich zusätzlich.
Dann waren da noch Annie und Jack. Zwei Kinder in diesen Haushalt zu integrieren war eine herausfordernde Beschäftigung. Jack, den ich auf sieben oder acht Jahre schätzte (er hatte keine Ahnung, wie alt er war), vergnügte sich damit, dem älteren Mädchen alle möglichen Streiche zu spielen. Er folgte Annie auf Schritt und Tritt und imitierte ihre Sprechweise, bis sie in Tränen ausbrach, nach oben rannte und sich auf ihr Bett warf. Als ich Jack deswegen ausschimpfte, zog er sich schmollend zurück. Um endlich ein paar Stunden für mich allein zu haben, suchte ich einen Lehrer, der ihnen Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen sollte, aber die beiden hatten den jungen Cambridge-Absolventen mit verständnislosen Blicken und eingeübter Unschuldsmiene schon bald wieder aus dem Haus getrieben. Beide gingen lieber mit Françoise einkaufen oder eilten mit Pierre durch London, als stillsitzend Zahlen zu addieren.
»Wenn sich unser Junge so benimmt, werde ich ihn ertränken«, erklärte ich Matthew, als ich kurzfristig in seiner Schreibstube Erholung suchte.
»Sie wird sich so benehmen, da kannst du dir sicher sein. Und du wirst sie nicht ertränken«, erklärte Matthew mir und legte seine Feder beiseite. Wir waren uns immer noch nicht über das Geschlecht des Kindes einig.
»Ich habe alles versucht. Ich habe mit ihnen geredet, sie umgarnt und angefleht – verflixt, ich habe sie sogar bestochen.« Aber die Brötchen von Master Prior hatten Jacks Energien nur noch beflügelt.
»Ein Fehler, den alle Eltern irgendwann machen«, lachte er. »Du willst dich mit ihnen anfreunden. Stattdessen solltest du Jack und Annie wie Welpen behandeln. Wenn du sie hin und wieder in die Schnauze kneifst, wird dir das bei ihnen mehr Autorität verschaffen als alle Rosinenbrötchen der Welt.«
»Holst du dir deine Erziehungsratschläge aus der Tierwelt?« Sofort fiel mir seine Forschung über die skandinavischen Wölfe ein.
»Das tue ich tatsächlich. Und wenn die zwei weiter so lärmen, dann bekommen sie es mit mir zu tun, und ich kneife nicht, ich beiße.« Matthew sah finster zur Tür, hinter der in diesem Moment ein besonders lautes Scheppern zu hören war, gefolgt von einem betretenen »Verzeiht, Mistress«.
»Danke, aber ich bin nicht so verzweifelt, dass ich sie wie Hunde abrichten würde. Noch nicht«, schränkte ich ein und verließ rückwärts den Raum.
Nachdem ich zwei Tage meine Lehrerinnenstimme eingesetzt und immer wieder Auszeiten angeordnet hatte, hatte ich so etwas wie Ordnung geschaffen, trotzdem mussten die Kinder ständig beschäftigt werden, damit sie nicht übermütig wurden. Ich legte Bücher und Papiere beiseite und machte mit ihnen lange Spaziergänge über die Cheapside und in die Vorstädte im Westen. Wir gingen mit Françoise auf den Markt und schauten zu, wie die Schiffe an den Docks in Vintry ihre Ladung löschten. Dort malten wir uns aus, woher die Waren wohl kamen, und spekulierten auch über die Herkunft der Seeleute.
Irgendwann hörte ich auf, mich wie eine Touristin zu fühlen, und entwickelte heimatliche Gefühle für das elisabethanische London.
Am Samstagmorgen waren wir gerade beim Einkaufen im Leadenhall Market, der besten Adresse für feine Lebensmittel, als ich einen einbeinigen Bettler bemerkte. Noch während ich in meiner Börse nach einem Penny wühlte, sah ich die Kinder im Laden eines Hutmachers verschwinden. In so einem Laden konnten sie eine Katastrophe – eine kostspielige Katastrophe –
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