Wo die Nacht beginnt
auslösen.
»Annie! Jack!«, rief ich und ließ die Münze in die Handfläche des Bettlers fallen. »Behaltet eure Finger bei euch!«
»Ihr seid aber weit von Eurem Heim entfernt«, sagte eine tiefe Stimme. Mein Nacken registrierte einen eisigen Blick, und als ich mich umdrehte, sah ich Andrew Hubbard hinter mir stehen.
»Vater Hubbard«, sagte ich. Der Bettler rutschte ein Stück weg.
Hubbard sah sich um. »Wo ist Eure Frau?«
»Falls Ihr damit Françoise meint, die ist auf dem Markt«, erwiderte ich gespreizt. »Annie begleitet uns ebenfalls. Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch dafür zu danken, dass Ihr sie uns geschickt habt. Sie ist uns eine große Hilfe.«
»Ich habe gehört, Ihr hättet Euch mit Goody Alsop getroffen.«
Ich sparte mir die Antwort, denn genau genommen hatte er gar keine Frage gestellt.
»Seit die Spanier hier waren, verlässt sie ihr Haus nur noch, wenn es einen guten Grund dafür gibt.«
Nachdem ich still blieb, lächelte Hubbard.
»Ich bin nicht Euer Feind, Mistress.«
»Das habe ich auch nie gesagt, Vater Hubbard. Aber wen ich treffe und warum, ist nicht Eure Angelegenheit.«
»Richtig. Euer Schwiegervater – oder seht Ihr ihn etwa als Vater? – hat das in seinem Schreiben klargestellt. Philippe dankte mir natürlich für meine Hilfe. Das Oberhaupt der de clermontschen Familie schickt seinen Drohungen stets einen Dank voraus. Eine erfrischende Abwechslung gegenüber dem Verhalten Eures Gemahls.«
Ich sah ihn argwöhnisch an. »Was wollt Ihr wirklich, Vater Hubbard?«
»Ich dulde die Anwesenheit der de Clermonts, weil ich es muss. Aber ich bin nicht dazu verpflichtet, das auch weiterhin zu tun, falls es Ärger geben sollte.« Hubbard beugte sich so weit vor, dass ich seinen frostigen Atem spürte. »Und Ihr macht Ärger. Ich kann es riechen. Und schmecken. Seit Ihr hier seid, sind die Hexen … schwierig.«
»Das ist ein bedauernswerter Zufall«, erwiderte ich, »für den ich aber nichts kann. Ich bin so wenig bewandert in der Kunst der Magie, dass ich mit meinen Zauberkräften nicht einmal ein Ei aufschlagen kann.« Françoise kam aus dem Markt. Ich knickste knapp vor Hubbard und wollte mich an ihm vorbeischieben. Seine Hand schoss vor und schloss sich um mein Handgelenk. Ich blickte auf seine kalten Finger.
»Nicht nur Kreaturen sondern einen eigenen Duft ab, Mistress Roydon. Wusstet Ihr, dass auch Geheimnisse ihren unverkennbaren Geruch haben?«
»Nein«, sagte ich und zog mein Handgelenk aus seinem Griff.
»Hexen spüren es, wenn jemand lügt. Wearhs wittern ein Geheimnis, so wie ein Hund einen Hirschen wittert. Ich werde Euer Geheimnis aufscheuchen, Mistress Roydon, so sehr Ihr Euch auch bemüht, es zu verbergen.«
»Seid Ihr so weit, Madame?«, fragte Françoise und näherte sich, an der einen Hand Jack und an der anderen Annie, stirnrunzelnd. Annie wurde blass, als sie Hubbard bei mir stehen sah.
»Ja, Françoise«, sagte ich und wandte den Blick endlich von Hubbards verstörenden, splittrigen Augen ab.
»Wenn Euch der Junge zur Last fällt, kümmere ich mich gern um ihn«, murmelte Hubbard, als ich an ihm vorbeidrängte. Ich drehte mich um und baute mich noch einmal vor ihm auf.
»Ihr lasst die Finger von dem, was mir gehört.« Unsere Blicke trafen sich wieder, und diesmal sah Hubbard als Erster weg. Ich kehrte zu meinem Grüppchen aus Vampir, Hexe und Mensch zurück. Jack sah mich verschreckt an und trat von einem Fuß auf den anderen, als wollte er jeden Moment Reißaus nehmen. »Gehen wir heim und essen Honigkuchen«, sagte ich und nahm ihn am Arm.
»Was ist das für ein Mann?«, flüsterte er.
»Das ist Vater Hubbard«, antwortete Annie verstohlen.
»Der aus den Liedern?« Jack schaute über die Schulter zurück. Annie nickte.
»Ja, und wenn er …«
»Es reicht, Annie. Was habt ihr in dem Hutladen gesehen?«, fragte ich und fasste Jack noch fester. Ich streckte die Hand nach dem randvollen Einkaufskorb aus. »Lass mich das tragen, Françoise.«
»Das wird nichts helfen, Madame«, sagte Françoise, überließ mir aber nichtsdestotrotz den Korb. »Milord wird wissen, dass Ihr auf diesen Schuft getroffen seid. Das kann nicht einmal der Kohlgeruch überdecken.« Jack sah mich auf diese Bemerkung hin neugierig an, und ich warf Françoise einen warnenden Blick zu.
»Malen wir nicht den Teufel an die Wand«, sagte ich und wandte mich heimwärts.
Im Hart and Crown befreite ich mich von Korb, Mantel, Handschuhen und Kindern und ging mit einem Becher
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