Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
und gern einen Höllenlärm veranstalten. Jón sieht ein bisschen müde aus. Sein neuer Job muss anstrengend sein. Dabei hat er bereits Erfahrung mit allen möglichen Rollen. Als Teenager war er Bassist der Punkband Nefrennsli , den »triefende Nasen«. Mit 19 Jahren dann schrieb er seinen ersten Roman, ein paar Jahre später eine fiktive Autobiografie mit dem Titel Der Indianer . Eine Zeit lang fuhr er Taxi in Reykjavík, dann wurde er Schauspieler und Komiker – und zwar der beliebteste des Landes. Außerdem ist er Vater von fünf Kindern.
Zu Beginn unseres Gesprächs erzählt Jón von seiner Faszination für den Zirkus. »Da hast du zum Beispiel den Zirkusdirektor. Der macht eigentlich nicht wirklich etwas, außer dass er den Leuten signalisiert, wann sie etwas tun sollen. Aber«, führt er fort – und das findet er interessant, »wenn alles außer Kontrolle gerät, wenn jemand hinfällt, einen Unfall hat oder etwas nicht
funktioniert, ruft der Zirkusdirektor die Clowns herein. Und die Clowns beschäftigen die Leute, während die Sache wieder in Ordnung gebracht wird.« Auf eine gewisse Art war das sein Ziel, sagt Jón Gnarr. Am Anfang.
Dann erzählt Jón, wie alles begann und wie er auf die Idee mit der »Besten Partei« gekommen ist. Was natürlich mit der Krise zu tun hat. »Als in Island alles zusammenbrach«, erzählt er, »hämmerten die Medien die ganze Zeit auf unsere Schwächen ein: ›Wir sind wahrscheinlich pleite! Alle lachen über uns! Vielleicht ist das das Ende von Island?‹ Wahrscheinlich. Oder vielleicht. ›Wir werden nicht mehr in diesem Land leben können!‹ Du konntest immer jemanden finden«, so Jón, »der sagte, dass es wahrscheinlich sei, dass morgen das Ende der Welt kommen würde. Oder vielleicht nächste Woche.« Und einige Leute, da sie sich noch nie in einer solchen Situation befunden hatten, fürchteten, dass die Läden bald schließen würden, dass kein Essen mehr da sein würde oder kein Benzin. Besonders, nachdem der Premierminister im Fernsehen Gott höchstpersönlich um Hilfe gebeten hatte. »Ich meine«, sagt Jón, »dabei ist es ist noch nicht einmal erwiesen, dass Gott überhaupt existiert!«
Das alles sei sehr merkwürdig gewesen, damals. Vor allem, weil man Politiker ja eigentlich als Menschen kannte, die über Fakten sprachen. Als Technokraten. »Und da stand plötzlich der höchste der Technokraten und ruft nach Gott!« Gott sollte kommen und das alles heil machen. Jón beobachtete diese Dinge genau – als Komiker. Schon damals überlegte er öffentlich in seiner Radio-Show, eine Partei zu gründen – und sie sollte so blöd wie möglich sein. Seine Idee damals war unter anderem Kulturminister zu werden und sich durch diese Position einen Sendeplatz für eine TV-Show beim staatlichen Sender RUV am Samstagabend zu sichern. Die Situation eine Weile quasi als Parodie der
bestehenden Verhältnisse zu nutzen und dann als Minister öffentlich zurückzutreten. Wegen Korruption.
Doch langsam bekam seine Idee eine weitere Dimension. »Ich bin ja eigentlich ein Stand-up-Comedian«, sagt Jón. Und das, was man als Bühnenmensch vor allem lerne, sei, die Gesichter der Zuschauer zu lesen. Besonders die Augen. Weil sie der Spiegel der Seele sind. Und was er sah, als er den Menschen auf der Straße damals kurz nach der Verstaatlichung der Banken in die Augen schaute, war Unsicherheit, Angst und Wut. »Die Politiker hatten Angst in den Augen. Die Polizisten, die plötzlich Helme trugen, hatten Angst in den Augen. Die Demonstranten waren wütend, andere ängstlich, weil sie nicht wussten, was das alles hier bedeutete.« Als er das erkannte, habe das Konzept seiner Spaßpartei für ihn noch tiefer gehende Motive bekommen. »Ich kann den Leuten helfen, wieder an sich zu glauben«, dachte Jón. »Ich habe das Know-how, ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Denn das habe ich als Komiker immer getan.« Das sei die Magie der Comedy, erklärt er, »dass sie Angst, Argwohn, Paranoia und Wut heilen kann«.
Und Spaßpartei hin oder her, das ist wirklich bemerkenswert: Während in vielen Ländern, in denen es mit der Wirtschaft bergab geht und die Angst grassiert, oft ein Nährboden für rechtspopulistische Parteien entsteht, überlegte sich in Reykjavík ein Komiker, die Sorgen, die Wut und den Verlust des Selbstwertgefühls mit Humor zu bekämpfen. Er dachte, so Jón, »ich kann das nutzen, um den Leuten zu helfen, wieder an sich zu glauben«. Plötzlich hatte die Idee der »Besten Partei«
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