Das Pubertier
Vor dem Sturm
Bevor diese ganze Sache bei uns anfing, hatte ich eigentlich ganz romantische Vorstellungen von der Pubertät unserer Tochter Carla. Ich dachte daran, dass sie womöglich mal Alkohol trinken und Zigaretten ausprobieren und dass ich das auch irgendwie okay finden würde. Ich stellte mir vor, dass ich mit ihr schöne und inspirierende Diskussionen erleben und ihr sozusagen beim Erwachsenwerden zuschauen könnte. Ich wünschte mir diese Phase in Carlas Leben als gemeinsames Abenteuer, bei dem man zusammen auf Konzerte geht. Schließlich waren wir ja auch jung. Irgendwie sind ja alle jung.
Doch dann waren meine reizende Gattin Sara und ich bei Freunden eingeladen. Zum Essen. Irgendwann mittendrin flog die Tür auf, und eine verpickelte Silvesterrakete flog grußlos durch den Raum. Ich erkannte darin Emilia, ihre Tochter – ein Geschöpf, das wenige Jahre vorher noch auf meinem Schoß gesessen und mir alles Wissenswerte über Polly Pocket und Hannah Montana nahegebracht hatte. Und nun das.
Emilia gab mir auf Anordnung ihres Vaters missgelaunt ihre schlaffe Pfote und meckerte kurz über die stinkenden Blumenleichen, die wir in der Annahme, es handele sich um einen hübschen Strauß, mitgebracht hatten. Dann fragte sie, ob sie was vom Dessert haben könne, und verschwand in der Küche. Schließlich tauchte sie wieder auf, um zu fragen, wer ihr blaues Sweatshirt habe. Ich zeigte belustigt auf, wurde mit Nichtbeachtung bestraft, und es folgte ein ungnädiger Schwall von Vorwürfen an ihre Mutter. Am Ende verabschiedete sich Emilia Richtung Party von irgendeinem Paul und ging linksseitig ab, wenn auch ohne Szenenapplaus.
Den Rest des Abends verbrachten wir damit, die Klagen und Selbstvorwürfe unserer Freunde entgegenzunehmen. Ich lernte: Kinder, die du als liebenswürdige Geschöpfe voller Anmut und Charme in Erinnerung hattest, verwandeln sich innerhalb kurzer Zeit in stinkende Monster (Jungs) oder hysterische Amazonen (Mädchen). Wenn die Familie viel Glück hat, verlassen die Jugendlichen diese
danger zone
der Eiterpickel und befleckten Unterwäsche als lebenstüchtige Erwachsene. Einige jedoch verbleiben für immer im Schattenreich der Adoleszenz, machen aber dennoch manchmal Karriere.
Zurück zu unseren armen Freunden, die immer sehr auf ein partnerschaftliches Verhältnis zu ihren Kindern gebaut hatten: Die Gespräche, eigentlich sind es Gebrülle, haben bei ihnen herrliche Themen wie Hygiene, Drogen, Umgangsformen, Ernährung und Faulheit. Ich bestand darauf, dass ich auch in Zukunft niemals Sätze sagen würde wie: «Ich kann nicht ertragen, wie du deine Zeit sinnlos verplemperst.» Oder: «Räum endlich diesen Saustall auf.» Ich fand, dass beide Angelegenheiten in das Selbstbestimmungsrecht der Kinder fallen und die Eltern nichts angehen. Mein Freund lachte bitter und goss sich einen Absinth ein.
Auf dem Heimweg schwiegen wir. Ich stellte mir den Besuch von Carlas erstem Freund vor und wie ich ihm die Haustür öffnen würde. Eine Mischung aus Thor, dem Hammergott, und Catweazle steht vor mir und fragt, ob Carla zu Hause ist. Ich sage: «Aha, Kamerad, erst geht es mal zum Eignungstest.» Dieser beinhaltet Fragen nach dem Beruf des Vaters, dessen politischen Präferenzen und der Marke seines Autos. Aus seinen Angaben lässt sich schon allerhand ableiten, für den Fall einer zu planenden Hochzeit beispielsweise. Außerdem will ich wissen, woher dieser junge Mann (ich werde ihn monatelang in Claras Beisein immer nur «diesen jungen Mann» nennen) meine Tochter kennt, ob er ein Instrument spielt, «In der Halle des Bergkönigs» kitschig findet und was er von meiner Tochter will. Wenn er «In der Halle des Bergkönigs» für ein Kapitel aus «Der Herr der Ringe» hält und von meiner Tochter «gar nix» will, kann er gleich wieder abzittern. Wenn er auf die letzte Frage antwortet, er wolle «fummeln», halte ich ihm einen dreißigminütigen Vortrag darüber, wie das in den achtziger Jahren war. Und wenn er dann immer noch nicht abhaut, darf er mit meiner Tochter ins Kino. Ich rufe während des Films acht Mal an, um zu fragen, ob sie noch dort sind. So stellte ich mir das vor.
Aber wie alles im Leben kam es völlig anders.
Im Pubertier-Biotop
Nur der im Tierreich fehlenden Schulpflicht ist es zu verdanken, dass der Koalabär als faulstes Lebewesen der Welt gilt. Er hängt täglich zwanzig Stunden rum. Das würde unsere Tochter locker toppen, aber sie muss zwischendurch in die Schule.
Ihr
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