Wo Tiger zu Hause sind
unterrichtete am Seminar von Fulda; er erkannte in Kircher jene Qualitäten, die ihn über seine Mitschüler hinaushoben, und fasste bald Zuneigung zu ihm. Durch ihn erhielt Athanasius Zugang zu den Giftschränken der Bibliothek: Martial, Terenz, Petronius … Von Spee machte ihn mit all diesen Autoren bekannt, deren Lektüre jungen Seelen eigentlich vorenthalten bleiben muss. Zwar ging der Schüler aus dieser zweifelhaften Begegnung ohne Schaden & mit umso heißerm Streben nach Tugend hervor, jedoch ist der Magister zu schelten, denn das Laster ist wie Pech, und »wer Pech anfasst, besudelt sich«. Doch wir mögen ihm diese leichte Kränkung der Moral vergeben, übte er doch auf Kircher einen rundum wohltuenden Einfluss aus und erstieg mit ihm allsonntäglich den Frauenberg, um im dortigen verlassenen Kloster innere Sammlung zu suchen und beim Anblick der Hügel und der Stadt dort unten über die Dinge der Welt zu plaudern.
Bezüglich des
Hexenhammers
entsann Athanasius sich genau des Zorns seines jungen Mentors angesichts der Grausamkeit & Willkür der Behandlung, der die Inquisition dort die angeblich vom Teufel Besessenen unterzog.
»Wer würde nicht zugeben, dass er Vater und Mutter gemordet oder mit dem Teufel Unzucht getrieben hat«, so sagte von Spee, »wenn man ihm die Füße in eisernen Schuhen zerquetscht oder ihn am ganzen Leibe mit langen Nadeln sticht, auf der Suche nach jenem schmerzlosen Punkt, der nach Auffassung der Verblendeten den Umgang mit dem Teufel verrät?«
Und unversehens fand sich der Schüler gezwungen, die Glut des Lehrers zu dämpfen und ihn zur Vorsicht zu mahnen. Dann flüsterte von Spee inmitten der Natur weiter, zitierte Ponzibinio, Weier oder Cornelius Loos als Stützen seiner Anschauung. Er war nicht der Erste, darauf bestand er, der die inhumanen Praktiken der Heiligen Inquisition anzuprangern wagte. Johann Ervich hatte bereits im Jahre 1584 die Wasserprobe verurteilt und Jordaneus die des schmerzlosen Punkts, & bei diesen Worten geriet von Spee erneut in Furor, erhob die Stimme, zum Entsetzen des jungen Athanasius, der ihn ob seines gefährlichen Mutes nur umso mehr bewunderte.
»Du musst verstehen, mein Freund«, rief von Spee mit glänzenden Augen, »auf jede echte Hexe – & ich gehe so weit zu bezweifeln, dass es je eine gab – kommen dreitausend schwache Geister und dreitausend Tobende, deren Zustand eher des Arztes bedürfte als des Inquisitors. Diese grausamen Scheingelehrten nehmen Gott & Glauben als Vorwand für ihr Wüten, doch verraten sie nichts als ihre eigene Ignoranz, & dass sie all diese Erscheinungen dem Übernatürlichen zuschreiben, liegt einzig daran, dass ihnen die natürlichen Ursachen der Dinge verborgen sind!«
Sein ganzes Leben lang sollte Kircher mir von der Faszination berichten, die ihm dieser Mann eingab, & vom Einfluss, den er auf seine Geistesbildung hatte. Bisweilen las ihm der junge Magister die Gedichte vor, die er zu jener Zeit verfasste & welche nach seinem Tode unter den Titeln
Trutz-Nachtigall
und
Güldenes Tugend-Buch
versammelt wurden. Athanasius wusste manche von ihnen auswendig aufzusagen, & an gewissen verzweifelten Abenden in Rom ließ er sich gehen & sprach sie leise wie betend vor sich hin. Er hegte eine starkte Vorliebe für
Trügendes Gezücht
, ein Gedicht, dessen ägyptische Einfärbung ihn sonderlich ansprach. Mir ist, als könnte ich immer noch seine Stimme hören, wie er ernst und beherrscht diese Worte rezitiert:
Mein Blick, er folgt des Horusfalken Schwanz
Hart ist sein Auge, es durchbohret
dich mit dunkel diamantener Pupille ganz
Dein Salamander kriecht aus seinem Loch
Ist dir wohlgesonnen, allem Bösen weit
Will Gutes wirken, scheinbar, noch und noch
Ist dennoch zur Vernichtung stets bereit
Kein Gebet, nichts mildert diesen Fluch
Nie ist es der Beschwörungen genug.
Er endigte mit geschlossenen Augen & blieb schweigend sitzen, ganz und gar von der Schönheit der Verse gebannt oder von wer weiß welcher an sie geknüpften Erinnerung. Dann schlich ich leise davon, gewiss, ihn anderntags wieder in gewohnt heiterer Gestimmtheit anzutreffen.
Im Jahre 1616 wurde von Spee ins Jesuitenkolleg von Paderborn versetzt, wo er sein Noviziat beenden sollte, & Athanasius, des Aufenthaltes in Fulda jäh leid, beschloss, zu Mainz Philosophie zu studieren.
Der Winter 1617 war ungewöhnlich harsch. Mainz ächzte unter der Schneelast, alle Flüsse waren zugefroren. Athanasius hatte sich mit Leib und Seele auf
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