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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Konzentration und Regelmäßigkeit. Das alles würde er zwar nie vergessen können, doch erlaubte ihm diese Arbeit immerhin, die andrängenden Erinnerungen ein wenig in Zaum zu halten.
    Erneut durchblätterte er das erste Kapitel von
La vie d’Athanase Kircher
, las seine Notizen, überflog einzelne Passagen. Mein Gott! Was für ein miserabler Anfang … Nichts war so schaurig wie so ein geschraubter Ton, der zwar allen Hagiographien zu eigen war, hier aber einsame Gipfel der Plattheit erreichte. Alles roch nur so nach Kerzenruß und Pfaffenkutte. Und dann diese penetrante Art, in der Kindheit Vorzeichen des »Schicksals« zu lesen! Im Nachhinein funktioniert so etwas natürlich immer trefflich. Mist, Mist, dreimal Mist!, wie Moéma das zu verfluchen pflegte, was ihre Freiheit auch nur im Geringsten behinderte, wobei sie Freiheit nannte, was im Grunde nichts als irrationaler, geradezu krankhafter Egoismus war. Einzig Friedrich von Spee war ihm sympathisch, trotz der Sinnlosigkeit seiner Gedichte.
    »Fickerisch wohnet der Mensch! Raaah, rrraaahhh!«, kreischte der Papagei wieder, als hätte er den Moment abpassen wollen, in dem sein Auftritt die größte Wirkung erzielte.
    ›So doof wie schrill‹, dachte Elézard mit einem verächtlichen Blick auf das Tier. Bedauerlicherweise eine ziemlich häufige Kombination, nicht nur beim großen Ara Amazoniens.
    Seine Caipirinha war leer. Er hätte durchaus Appetit auf eine weitere – oder sogar eine dritte? – gehabt, doch zögerte er, Soledade abermals zu bemühen. Schließlich bedeutet »Soledade« auf Portugiesisch »Einsamkeit«. »Ich lebe allein, zusammen mit Einsamkeit …«, sagte er stumm. Manche Paradoxe trugen etwas wie einen Kern höherer Wahrheit in sich. Fast wie jene Stelle im
Rosenroman
: »Als Vernunft mich also reden hörete, wandte sie sich ab und ließ mich in düstern Gedanken zurück.«

1 . Kapitel
    Welches handelt von des Athanasius Kircher, Helden dieser Geschichte, Geburt & frühen Jahren.
    H eute, am Tage der heiligen Genoveva, dem dritten Tage im Jahre des Herrn 1690 , beginne ich, Caspar Schott, wie ein Schulbube an einem der Tische der Bibliothek sitzend, über welche ich die Aufsicht innehabe, mit dem Bericht über das in allen Punkten beispielhafte Leben des hochwohllöblichen Paters Athanasius Kircher. Dieser Mann, dessen erbauliche Werke unserer Epoche das Siegel seiner Intelligenz aufgedrückt haben, trat bescheidentlich hinter seinen Schriften zurück: Man möge es mir, so hoffe ich in meiner Seele, zugutehalten, dass ich mir diesen Schleier ein wenig anzuheben & rücksichtsvoll ein Schicksal zu beleuchten anmaße, dessen Ruhm allbereits unsterblich ist.
    Vor einer so kühnen Aufgabe stehend, lege ich mein Geschick in die Hände Mariens, unser aller Mutter, die Athanasius niemals vergebens anrief, und ergreife die Feder, um jenen Mann zum Leben wiederzuerwecken, der fünfzig Jahre lang mein Meister war & mich, so wage ich mich zu rühmen, mit wahrer Freundschaft beschenkte.
    Athanasius Kircher erblickte das Licht der Welt um drei Uhr früh, am zweiten Tage des Monats Mai, dem Tag des heiligen Athanasius 1602 . Seine Eltern, Hans Kircher und Anna Gansekin, wahren glühend gläubige & großmütige Katholiken. Zur Zeit seiner Geburt lebten sie in Geisa, einem Örtchen in der Rhön drei Stunden von Fulda.
    Athanasius Kircher kam zu Beginn einer relativ friedlichen Zeit zur Welt, geboren in eine fromme & einträchtige Familie, welche eifrige Studien & innere Sammlung zu schätzen wusste, was gewisslich seiner künftigen Berufung förderlich war. Allbereits als Kind war Athanasius stets von Büchern umgeben, denn Hans Kircher besaß eine umfangreiche Bibliothek. Voller Rührung & Dankbarkeit pflegte Athanasius mir gegenüber gewisse Titel zu zitieren, die er in Geisa in Händen hatte halten dürfen, insonderheit
De Laudibus Sanctae Crucis
des Hrabanus Maurus, das ihm geradezu als Leselernbuch gedient hatte.
    Von der Natur begünstigt, meisterte er als Schüler wie im Spiel die schwierigsten Stoffe & widmete sich dennoch so beflissentlich seinen Studien, dass er all seine Kameraden weit übertraf. Kein Tag verging, ohne dass er aus der Schule eine neue Auszeichnung an seinem Kleide mitbrachte, deren sein Vater sich zu Recht als sehr zufrieden erwies. Als Primus seiner Klasse ging er dem Schulmeister zur Hand, indem er den Anfängern den Katechismus des Canisius erklärte & in den niederen Klassenstufen die Lektionen abfrug. Mit elf

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