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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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würdet, worum es hier geht.«
    Madame Moulin schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn nicht noch mehr Leute da mit reingezogen werden. Nachdem Vikar Ralph bereits wegen dieser Sache getötet wurde.«
    Colin sah sie fassungslos an. »Meine Mutter sagte, es war ein Unfall.«
    »Dann ist sie noch nicht auf dem neuesten Stand. Er wurde ermordet.«
    »Dann will ich erst recht wissen, was hier gespielt wird«, sagte Colin mit fester Stimme. »Ich werde nicht zulassen, dass Lucy etwas geschieht.«
    Madame Moulin griff nach seiner Hand. »Ich werde auf sie aufpassen, Colin.«
    Zweifelnd sah er die ältere Frau an, die seinem Blick standhielt.
    »Es geht nicht anders, Colin. Glaub mir.«
    Colin nickte zögernd und griff nach dem Telefon, um Marie darüber zu informieren, dass Lucy heute nicht kommen würde.
    »Hat sie wieder bei Nathan übernachtet?«, fragte sie neugierig.
    »Nein, sie war zu Hause«, antwortete Colin und legte mit einer knappen Verabschiedung auf.
     
    Lucy wartete mit einer kleinen gepackten Tasche im Flur. Sie warf einen letzten Blick auf ihr Handy, um zu prüfen, ob Nathan sich noch einmal gemeldet hatte. Zu ihrer Erleichterung war das nicht der Fall gewesen. Trotzdem beschlich sie ein ungutes Gefühl. Wer wusste schon, was er und sein Großvater nun ausheckten.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte sie Madame Moulin.
    »Ich habe eine alte Freundin. Sie lebt in Schottland in einem kleinen Dorf.« Sie wandte sich an Colin. »Entschuldige, Colin. Aber es ist besser, wenn du nicht weißt, wo Lucy ist.«
    Colin nickte mit zusammengezogenen Augenbrauen.
    »Wenn Sie meinen.«
    Er nahm Lucy fest in die Arme. »Pass auf dich auf.«
    »Mach ich«, flüsterte sie. »Und du auf dich.«
    An der Eingangstür sah Madame Moulin sich vorsichtig um. Niemand war zu sehen. Eilig liefen sie zur Hauptverkehrsstraße. Lucy folgte Madame Moulin wortlos. Immer wieder sah sie sich um. Sie fürchtete sich davor, plötzlich Nathan oder seinem Großvater gegenüberzustehen. Lucy tastete nach dem Medaillon. Dann schrak sie zusammen. Es hing nicht um ihren Hals. Besorgt wandte Madame Moulin sich ihr zu.
    »Was ist Lucy?«
    »Mein Medaillon. Es ist nicht da.«
    »Wir müssen uns beeilen«, erklärte Madame Moulin.
    »Ich kann nicht ohne das Medaillon gehen«, sagte Lucy und tippte Colins Nummer in ihr Handy.
    »Colin«, sagte sie, als er sich meldete. »Schau mal bitte nach, ob mein Medaillon irgendwo in der Wohnung liegt. Auf meinem Nachtschrank oder im Bad.«
    Panik ergriff sie. Sie durfte es nicht verloren haben. Das wäre eine Katastrophe.
    »Hier ist es nirgendwo«, hörte sie Colin.
    »Ok, danke. Falls du es noch findest, ruf mich an, ja?«
    »Mach ich.«
    »Wir müssen noch mal in die Bibliothek«, erklärte Lucy mit fester Stimme. »Ich verlasse die Stadt nicht ohne das Medaillon. Es ist das einzige Andenken an meine Mutter, das ich habe.«
    »Dann verpassen wir den Zug«, insistierte Madame Moulin. »Dein Leben ist wichtiger als der Schmuck.«
    Lucy fragte sich, ob Madame Moulin jetzt nicht übertrieb. Konnten Batiste oder Nathan wirklich zu so etwas fähig sein?
    »Da vorn ist die U-Bahn. Wir sind unter Menschen. Uns wird nichts passieren. Wir müssen uns eben beeilen.«
    Madame Moulin seufzte. »Wenn es denn sein muss.«
    Schweigend liefen sie zum Eingang der U-Bahn und stiegen die Treppen hinunter. Der Bahnsteig war voller Menschen. Madame Moulin drängelte sich nach vorn und Lucy folgte ihr notgedrungen. Die Lichter der einfahrenden U-Bahn wurden im Tunnel sichtbar. Wind schoss über die Wartenden hinweg. Plötzlich war Madame Moulin verschwunden, und eine Frau neben Lucy begann, hysterisch zu kreischen. Die Bahn fuhr quietschend ein. Totenstille breitete sich aus. Das grüngemusterte Tuch, das Madame Moulin um ihren Hals getragen hatte, klemmte zwischen dem Bahnsteig und dem Metall des Waggons. Lucy starrte darauf, ohne zu verstehen, was sie sah.
    Erst, als die Türen der Bahn sich öffneten, setzten die gewohnten Geräusche ein. Lucy starrte immer noch auf die Stelle, an der Madame Moulin eben noch gestanden hatte. Die Menschen wichen zurück und immer wieder schrie jemand nach einem Arzt. Lucy rührte sich nicht. Wie aus dem Nichts erschienen Mitarbeiter der Londoner U-Bahn und räumten den Bahnsteig. Jemand schob Lucy die Treppen nach oben.
    »Ich muss hierbleiben«, sagte Lucy immer wieder. »Ich muss ihr helfen.«
    Eine ältere Dame sah sie mitleidig an. »Ihr ist nicht mehr zu helfen, Kindchen. Glaub mir.«
    Ein

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