Woerter durchfluten die Zeit
Bahnmitarbeiter wurde auf Lucy aufmerksam. »Kannten sie die Frau?«, fragte er. »Weshalb hat sie das getan?«
Lucy sah ihn verständnislos an.
Plötzlich stand Colin neben ihr. »Komm, Lucy«, sagte er sanft. »Sie kannte die Frau nicht«, sagte er zu dem Bahnmitarbeiter und zog Lucy fort. »Wir müssen hier weg.«
»Aber das geht nicht. Ich muss wissen, was geschehen ist«, sagte Lucy leise, ließ aber zu, dass Colin sie weiter nach oben schob.
»Sie ist tot, Lucy. So einen Sturz überlebt man nicht.«
Lucy fing unkontrolliert an, zu schluchzen. »Es ist meine Schuld«, wiederholte sie immer wieder.
»Es ist nicht deine Schuld, Lucy. Sicher war es ein Unfall. Sie ist zu nah an die Gleise getreten.«
Lucy sah auf. »Das glaubst du doch selbst nicht«, antwortete sie. »Jemand muss sie gestoßen haben.«
»Wer sollte so etwas tun, Lucy?«
»Ich weiß nicht«, schluchzte Lucy. »Ich weiß es doch auch nicht. Wo kommst du überhaupt so plötzlich her?«
»Ich bin euch gefolgt«, antwortete er, als sei das das Normalste der Welt. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich allein lasse. Nach deinem Anruf konnte ich mir denken, dass ihr noch einmal in die Bibliothek fahrt.«
Erst jetzt fiel Lucy auf, wie hektisch Colin atmete. Er musste gerannt sein, um sie einzuholen. Ihr Kopf sank dankbar gegen seine Brust. Was hätte sie bloß ohne ihn getan.
Ihr Blick fiel auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ein groß gewachsener, breitschultriger Mann stand dort. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Neben ihm kniete ein riesiger schwarzer Hund. Lucy erkannte ihn sofort. Das war der Hund, der gestern vor ihrem Haus gesessen hatte.
»Wir müssen weg hier«, flüsterte sie. »So schnell wie möglich. Wir müssen zur Bibliothek.«
Ohne eine Frage zu stellen, nahm Colin ihre Hand und zog sie durch die Menschenmenge, die sich am Eingang der U-Bahn ballte. Niemand wurde mehr hinuntergelassen.
Während sie liefen, sah Lucy sich immer wieder um, doch weder der Hund noch der schwarze Mann folgten ihnen. Einige Straßen weiter stiegen sie in einen Bus, der sie zur Bibliothek brachte.
Colin reichte Lucy ein Taschentuch. »Du bist ganz verschmiert«, sagte er. »Du solltest Madame Moulins Rat befolgen und dich verstecken. Vorausgesetzt, du hast recht und sie wurde gestoßen. Was ich mir ehrlich gesagt nicht wirklich vorstellen kann.«
»Weshalb hast du dann zu dem Bahnmitarbeiter gesagt, dass ich sie nicht kenne?«, fragte Lucy.
»Ich wollte dich da so schnell wie möglich wegbringen«, sagte Colin zögernd. »Und jetzt erzähl mir endlich, worum es geht. Ich hänge da jetzt sowieso mit drin.«
Die Fahrt würde nicht lang genug dauern, um Colin jedes Detail zu berichten. Also entschloss Lucy sich, ihm eine Kurzfassung zu erzählen. Er war jetzt der einzige Mensch, dem sie trauen konnte. Sie würde das hier allein nicht schaffen.
Colin hörte schweigend zu.
»Und deshalb muss ich das Medaillon holen. Ich werde die Stadt ohne den Schmuck nicht verlassen. Verstehst du?«
Colin nickte.
»Wenn wir in der Bibliothek sind, rufst du bitte bei der Polizei an und fragst nach dem Unfall? Vielleicht ist sie ja so gefallen, dass sie nur verletzt ist. Vielleicht lag sie so zwischen den Gleisen, dass der Zug sie nicht getötet hat. So etwas ist doch schon passiert, oder?« Ihre Stimme klang kläglich.
»Ja, natürlich. Das mache ich. Vielleicht hat sie ja Glück gehabt.«
Lucy nickte und klammerte sich an diese klitzekleine Hoffnung. Madame Moulin war immer so etwas wie eine Mutter für sie gewesen. Sie durfte nicht tot sein.
»Wir müssen aussteigen«, sagte Colin und zog sie hoch. Lucy wischte sich mit dem Taschentuch über ihr Gesicht.
Colin zog sie weiter bis zum Eingang der Bibliothek. Dort nahm er ihr ihre Tasche ab und strich ihr das Haar zurück.
»Marie wird sofort merken, dass etwas nicht stimmt«, sagte er. »Erkläre ihr nicht zu viel. Beeil dich. Ich warte hier und halte nach dem schwarzen Mann Ausschau.«
Er versuchte sich an einem Lächeln.
Lucy wandte sich ab und stieg die wenigen Stufen zur Tür hinauf.
Marie war nicht zu sehen und so lief sie eilig durch die Schranke in Richtung Archiv.
Auf dem Tisch neben der Tür lagen einige Bücher. Mechanisch griff sie danach, um sie mit hinunterzunehmen.
Lucy trat durch die Eingangstür des Archivs, deren alte Scharniere zur Begrüßung knarrten. Sie presste die Bücher in ihrem Arm fest an sich. Hier war sie in Sicherheit. Hierher konnte ihr niemand
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