Wofür du stirbst
meiner Strickjacke mit regendurchnässten Haaren und Kleidern auf einer nassen Holzbank, und niemand sah mich an oder blieb stehen. Füße marschierten an mir vorbei. Schulkinder lachten und schubsten einander herum. Ich sah sie nicht an. Ich blickte nicht auf. Da war diese – Trägheit –, dieses Warten, dass etwas mit mir geschah, damit ich nicht handeln musste.
Da fiel mir wieder ein, wie es sich angefühlt hatte, als ich auf ihn wartete.
Nach einer Weile vergaß ich fast aufzusehen. Ein seltsames Gefühl überkam mich, als ich hier in der Stille und Kälte wartete.
Ich sah zwei Füße auf mich zukommen und dachte zuerst, dass endlich jemand fragen würde, ob alles in Ordnung sei, darum hätte ich beinahe den Kopf gehoben. Doch dann fiel mir wieder ein, weshalb ich hier war und warum ich das alles tat, blieb regungslos sitzen und sah auf meine Knie herab.
Er stand direkt vor mir. Ich sah auf ein Paar braune Herrenschuhe hinab, die er offenbar mit irgendeinem wasserabweisenden Spray imprägniert hatte, weil sich kleine Wasserbtröpfchen auf der Oberfläche gebildet hatten. Er trug dunkelblaue Jeans mit Bügelfalte.
»Annabel?«
Ich erkannte seine Stimme wieder, und einen Augenblick verspürte ich Angst, die seltsamerweise von derselben Erleichterung wie damals begleitet wurde, als ich noch dachte, er sei ein Engel. Seine Stimme klang so ruhig, so unendlich beruhigend.
»Annabel?«, sagte er erneut, und diesmal sah ich auf, hob langsam den Kopf und blinzelte ihn an, als wüsste ich nicht, wo ich war oder was ich hier tat.
Er sah mich besorgt an. Dann blickte er nach links und rechts, als fürchte er, jemand wolle ihm einen bösen Streich spielen. Er sah zur Bank, wischte die Regentropfen mit der Hand von der Sitzfläche, sodass Wasser auf meine Füße fiel und gegen meine Beine klatschte. Dann setzte er sich neben mich.
Ich senkte erneut den Kopf. Was sollte ich sagen? Das war gar nicht so einfach. Ich konnte leicht einen Fehler machen, einen schweren Fehler …
»Du bist – du bist …Ed?«
»Richtig«, sagte er gleichmütig. »Du erinnerst dich.« Er beugte sich zu mir vor, und während ich mir noch überlegte, was ich sagen sollte, berührte er mich sanft am Arm.
»Wie geht es dir, Annabel?«, fragte er.
Ich schüttelte zur Antwort nur langsam den Kopf, dann immer schneller, sodass mein nasses Haar um meine Wangen flog. Ich verzog das Gesicht. Funktionierte es? Ich hatte keine Ahnung. Gleichzeitig versuchte ich diese Gefühle in mir wachzurufen, die ihn offenbar von Anfang an zu mir hingezogen hatten: Trostlosigkeit, Trauer, Verwirrung, Verzweiflung – und mir wurde klar, dass sie immer noch irgendwo in mir schlummerten.
»Du hast gesagt, dass ich gehen darf«, sagte ich da. »Du hast gesagt, dass alles verschwinden und es mir gut gehen würde.«
»Ja«, sagte er. »Es tut mir leid.«
»Es hat nicht geklappt«, sagte ich. »Ich bin immer noch hier. Ich bin immer noch in der Hölle.«
Daraufhin schwieg er, nahm seinen Arm fort, und ich hatte das schreckliche Gefühl, dass ich versehentlich das Falsche gesagt und mich dadurch verraten hatte. Das kleine Handy lag wie ein Stein auf meiner Brust, es fühlte sich klebrig und warm an. Meine Bluse war nass und klebte an meiner Haut, also zog ich die nasse Strickjacke fester um mich, damit man den Umriss des Gerätes nicht erkennen konnte.
»Hilf mir«, sagte ich.
»Du kannst dir selbst helfen, Annabel«, sagte er.
»Wie?«, fragte ich. »Sag mir, was ich tun soll. Bitte, sag es mir.«
»Du kannst nach Hause gehen und die Tür zumachen …«
Ich schüttelte den Kopf, noch bevor er den Satz beendet hatte. »Nein, man wird mich wieder finden. Sie haben mich ins Krankenhaus gebracht. Sie haben mich die ganze Zeit überwacht. Ich wollte einfach nur alleine sein. Ich kann nirgends alleine sein.«
Ich sah zu ihm auf, obwohl es besser gewesen wäre, den Blick gesenkt zu halten. Aber ich wollte wissen, ob er Verdacht geschöpft hatte. Der Regen rann wie Tränen über mein Gesicht, ich wischte ihn nicht fort. Colin wirkte nicht misstrauisch. Er sah traurig und betrübt aus, doch seine Augen leuchteten.
Ich dachte, er würde schon sagen: »Ich kann dir nicht helfen«. Ich stellte mir vor, wie er das sagte, aufstand, zu seinem Fiesta zurückging und davonfuhr. Wenn er das getan hätte, wäre ich zu Sam gegangen, wir wären wahrscheinlich zu ihm nach Hause gefahren, hätten uns abgetrocknet, und alles wäre in Ordnung gewesen. Wir hätten nichts verspielt
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