Wofür es sich zu leben lohnt
Am nächsten Tag hingegen könnte es gut sein, dass wir ihn nicht sehen und schon gar nicht riechen wollen; vielleicht nicht einmal hören, wie jemand davon spricht.
Die Qualität des problematisch Lustvollen wird in der Ästhetik auch als das Sublime oder Erhabene bezeichnet. Es hat eine schädliche Qualität, die dennoch eine überlegene Lust verschaffen kann. Und es ist niemals vollkommen Ich-konform. Man sagt sich: Eigentlich wäre es vernünftiger, keinen Alkohol zu trinken, nicht zu rauchen und keinen Sex zu haben.
Das problematisch Lustvolle bringt uns über etwas hinaus, das mit dem Ich unmittelbar zusammenhängt, nämlich über eine Vernunft des Haushaltens – mit den Kräften gut umzugehen, so dass wir morgen auch noch welche haben. Das maßvolle Haushalten ist das Ökonomische oder auch – das Profane. Das problematisch Lustvolle des Alkoholtrinkens, des Feierns verweist immer auf etwas, das diese ökonomische Haushaltsnorm bricht. Das ist eine Ordnung der Verausgabung. Durch diese Großzügigkeit entsteht ein Triumph: Wir achten nicht darauf, wie viele Flaschen Champagner wir öffnen, wenn wir etwas zu Feiern haben.
Das Frühlingshafte ist ein Umgang mit dem eigenen Leben, der eine solche Verausgabung kennt. Igor Strawinskys Ballett »Le Sacre du Printemps« erzählt die seltsame Geschichte von alten Männern, die den Frühling feiern und von einer jungen Frau, die sich als Opfer für die Götter des Frühlings zu Tode tanzt. Das ist ein bizarrer Stoff. Aber es ist hier etwas in verzerrter Form erhalten geblieben, was in vielen Kulturen als Motiv eine Rolle gespielt hat und das man habituell sogar an Leuten feststellt, die vielleicht nie daran denken würden, dass das in ihrem Leben eine Rolle spielt.
Es sind jene Leute, die das Leben als Gabe begreifen. Wenn man das Leben als Gabe begreift, dann behandelt man es als ein Geschenk, bei dem man eine Verpflichtung hat – nämlich die Verpflichtung, etwas von dem Geschenk auch weiterzugeben. Wenn jemand im Lotto eine kleine Summe gewonnen hat, lädt er seine Freunde auf ein Bier ein. Er hat das Gefühl, er kann mit dieser Gabe nicht einfach haushalten, sondern er muss etwas verausgaben, damit es angemessen als etwas Sakrales gewürdigt und nicht in eine profane Haushaltsordnung überführt wird.
Das sind die Gesten, die uns glücklich machen: Wenn wir rauchen, mit Freunden trinken, tanzen bis zum Umfallen, dann verausgaben wir unser Leben und geben damit etwas zurück von der Gabe, als die wir dieses Leben begreifen. Das macht uns so froh in diesen Momenten; es macht deren Kultiviertheit aus. Das Gegenteil wäre, das Leben als Sparguthaben zu begreifen.
»Ich habe soundsoviel auf dem Konto.« »Wenn ich nicht allzu viel ausgebe, werde ich 95 Jahre alt.« Das ist eine biopolitische Mentalität, die sich in unserer Kultur zunehmend verfestigt. Die Leute werden dazu angehalten, das Leben als Sparguthaben zu betrachten und eifersüchtig darauf zu achten, dass ihnen niemand etwas davon abknapst. Sie sind kulturell nicht mehr dazu ermutigt, ihr Leben in bestimmten feierlichen Situationen groß zu verausgaben und das als Triumph zu erleben.
In dem Moment, in dem wir das Leben als Sparguthaben betrachten, gehen wir mit ihm in einer Weise um, als ob wir schon tot wären. Das ist eine Vorsicht gegenüber dem Leben, die das Leben selber tötet. Das Verschwenderische dagegen ist genau dieses Lebendige – das, was am Frühling imponiert. Wenn der Frühling einen Sinn hat in der Philosophie, dann ist es dieser Sinn des Verschwenderischen – einer Kultur der großzügigen Gabe.
13 . Kunst und Liebe, Gabe und Gift
1 . Das Kunstwerk als Liebesgabe
Wenn man beobachtet, unter welchen Umständen Menschen, die keine Künstler sind, jemals beginnen, Kunstwerke anzufertigen, dann sticht eine Bedingung schnell hervor: nämlich die der Liebe – in allen Abstufungen und Bedeutungen des Wortes. Verliebte produzieren zum Beispiel Collagen als Liebesbeweise für ihre Geliebten; Erwachsene erfinden Lieder als Geburtstagsdarbietungen für ihre Freunde; Kinder fertigen Zeichnungen an als Weihnachtsgeschenk für Eltern oder Großeltern.
In all diesen Fällen entsteht plötzlich im Alltagsleben von Menschen, die sonst vielleicht selten – und schon gar nicht in ihrem Beruf – an Kunst denken, unter dieser besonderen Bedingung Kunst; und immer ist der Anlass dazu eine Adressierung an eine geliebte Person. Ein starker Affekt, verbunden mit der Vorstellung einer
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