Wofür es sich zu leben lohnt
charakteristische Entzogenheit gegenüber alltäglichem Gebrauch. Eine doch so überaus materialistisch geprägte Praxis, worin alles seinen Nutzen und seine Funktion haben muss, wird beim Geschenke machen plötzlich luxuriös und leistet sich den Umstand, dass man mit Aufwand etwas herstellt, das zu nichts nutze ist – und über das mithin auch der Adressat nicht in einer profanen Weise verfügen kann wie über seine sonstigen Besitztümer. Auch in dieser Nutzlosigkeit, die für das Geschenk ebenso wie für das besondere Liebesgeschenk des Kunstwerks gilt, liegt also ein Moment von Unverfügbarkeit, von Nichteigentum.
Ein drittes Moment betrifft beide der zuvor genannten Seiten, sowohl die Geber als auch die Nehmer von Gaben beziehungsweise Kunstwerken. Man muss das Geschenk überreichen, und man darf es, wenn man es bekommen hat, nicht in profaner Weise verwenden. Zunächst muss man das Geschenk unbedingt abliefern: Wenn das nicht gelingt, ist das ziemlich schlimm. Wenn man dem Freund einen schönen Regenschirm schenken möchte und der hat genau den gleichen schon, dann kann man ihn vielleicht für sich selbst behalten, aber das ist doch ein bisschen prekär. Und wenn man eine feine Flasche Wein gekauft hat und sie zu einer Hochzeit mitbringen wollte, aber leider ist man ausgerechnet an dem Tag krank und kann nicht zum Fest kommen, dann steht diese Flasche Wein plötzlich zu Hause herum, und man weiß eigentlich nicht, wie man sie wieder loswerden soll. Es ist nicht ganz leicht, sie einfach unter die anderen Flaschen zu mischen und sie irgendwann mit diesen zusammen zu genießen.
Diese Tatsache, dass quasi ein Zwang zum Übergeben besteht, zum Überreichen an einen Adressaten; dass die Gabe auf keinen Fall behalten werden kann, das zeigt sich im Kunstzusammenhang am ehesten dort, wo Sammler, die eine große Kunstsammlung angelegt haben, plötzlich den Drang verspüren, diese Sammlung der Öffentlichkeit zu schenken. Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich hat das hellsichtig bemerkt: Fast alle Sammler wollen ihre Kunstsammlung irgendwann wieder loswerden. [157]
Warum muss etwas unbedingt übertragen werden? Was ist das Ungute am Geschenk, das sich nicht so leicht in unsere Besitztümer eingliedern lässt? – Auch hier lässt sich die Antwort vielleicht wieder durch den Vergleich mit dem Alltagsleben gewinnen, worin geschenkt werden muss:
Man muss dann geben, wenn man selbst etwas bekommen hat.
Geben ist also eigentlich immer weitergeben. Ein Mann, der mit 18 Jahren im Ersten Weltkrieg auf ein Himmelfahrtskommando geschickt worden war, dieses überlebte und mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde, erhielt dafür vom österreichischen Staat einmal im Jahr eine kleine Summe Geldes überwiesen. Er hat diese Summe aber sein Leben lang nie angerührt, sondern sie immer an wohltätige Organisationen gespendet. Man kann dasselbe auch manchmal beobachten im Alltag, wenn man zum Beispiel sich mit Freunden regelmäßig zum Essen trifft, und eines Tages zahlt plötzlich ein Freund die Rechnung für alle, und man ist überrascht, und dann sagt er: »Ja, wißt ihr, ich habe nämlich gerade bei einer Sportwette gewonnen, und dieses Geld musste ich jetzt hier einfach ausgeben.« Spieler haben sehr oft das Gefühl, dass sie das, was sie gewonnen haben, nicht einfach behalten und als Gewinn verbuchen können. Sie müssen es wieder weitergeben. Das im Spiel gewonnene Geld »brennt ihnen auf den Nägeln«, schreibt Georges Bataille in diesem Zusammenhang (s. Bataille 2001 : 314 ).
Die Glücklichen im Leben und die Spieler müssen den Gewinn weitergeben – entweder, indem sie wieder spielen und das Geld aufs Spiel setzen oder indem sie großzügig andere Leute beschenken. Mit etwas, das man sozusagen ohne Arbeit gewonnen hat, kann man nicht so leicht umgehen wie mit den Gewinnen, die man aus der Arbeit bezieht. Das muss man genauso, wie man es geschenkt bekommen hat, auch wieder weiterschenken. Hier scheint ein Tabu spürbar, das es verbietet, solche Dinge einem profanen, nützlichen Gebrauch zuzuführen.
Wenn also Kunstwerke geschenkt werden müssen, wie es im Alltagsleben bei Nicht-Künstlern deutlich auftaucht, dann vielleicht deshalb, weil auch die Befähigung zum Kunstmachen als Geschenk empfunden werden kann; sozusagen eine Gabe – ein Umstand, der in Worten wie »Begabung« noch etwas zweideutig und missverständlich mitschwingt. Wenn es richtig ist, dass Kunstschaffende im Allgemeinen nur durch die
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