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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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soziale Übertragungsbeziehung zum Produzieren befähigt werden, dann haben sie völlig recht, wenn sie das Gefühl haben, hier der Gesellschaft etwas zurückgeben zu müssen; ganz ähnlich wie der glückliche Gewinner, der seine Freunde zum Essen einlädt.
    Hieraus erklärt sich wohl auch das für das Kunstmachen charakteristische zwanghafte Moment: Kunstschaffende haben in inspirierten Momenten das Gefühl, um jeden Preis Kunst machen zu müssen; auch wenn dies ihre ökonomische oder bürgerliche Existenz, ihr Familienleben oder auch ihre Gesundheit ruinieren mag. Wer der Kunstproduktion dieses grandiose Moment von Glamour und Souveränität im Sinne Batailles abspricht, übersieht einen entscheidenden Aspekt existierender Kunst und stuft die zukünftige auf das Niveau einer kleinlichen und überschaubaren Erfüllungspraxis herab. Und er verkennt das triumphale Moment von Glück, die enorme Erfüllung, die in diesem scheinbar getriebenen und nicht selten gequält anmutenden Tun liegt.
    Das Nichteigentum der künstlerischen Produktionsfähigkeit, die sich einer Übertragungsbeziehung verdankt, erfordert als Gegengabe eine selbstlose Produktion. Und das Ergebnis dieser Produktion kann selbst wieder nur bedingt angeeignet werden: daher seine Abstraktion, und daher auch das zwanghafte Bedürfnis, die Kunstsammlung der Öffentlichkeit wieder zurückzugeben.
    3 . Geben, was man nicht hat
    Auf die künstlerische Produktion lässt sich darum wörtlich die Formel anwenden, die Jacques Lacan, in seinem Seminar über die Angst, als eine Definition der Liebe geprägt hat: Sie besteht darin, »zu geben, was man nicht hat« (und wir können sogar, wie Lacan, fortsetzen: »an jemanden, der es nicht haben will«, s. Lacan 2004 : 166 ff.). Das Kunstwerk als Liebesgabe ist das exemplarische Beispiel dessen, was in jeder Liebe gegeben wird. Die Liebenden, die Kunst herstellen, geben darin das, was sie nicht haben – ihr Nichteigentum. Und da fast alle Liebenden offenbar immer in irgendeiner Weise zu Kunstschaffenden werden, lässt sich sagen, dass das Geben dessen, was man nicht hat, offenbar notwendigerweise eine materielle Gestalt annimmt: Die als Liebesgaben produzierten und überreichten Artefakte sind die Materialisierungen dessen, was die Liebenden nicht haben und nun geben.
    Aus der Perspektive Lacans bedeutet dies, dass diese Objekte immer etwas Ungutes, Unheimliches an sich haben: Wenn jemand gibt, was er nicht hat, wenn er also seinen »Mangel« gibt, so hat er ihn danach nicht mehr – denn dann ist, wie Lacan schreibt, der geliebte Andere zu seinem Mangel geworden (s. Lacan, ebd.). Und die künstlerischen Liebesgaben verkörpern genau den Umstand, dass dem Liebenden nun »der Mangel mangelt«. Daher rührt die bezeichnende Schwierigkeit der Aneignung, die wir bei den künstlerischen Liebesgaben auf allen Ebenen angetroffen haben: Sie werden immer weitergereicht wie heiße Kartoffeln, die niemals jemand lange in der eigenen Hand behalten kann. Das Fehlen des Mangels stellt uns nämlich immer vor grundsätzliche Probleme unseres vom Mangel geprägten, erwachsenen Lustempfindens: Es ist so, wie wenn wir plötzlich durch bloßes Verwünschen Menschen töten könnten, oder wie wenn nur durch bloße verbale Äußerungen von uns die Wetterlage oder die Tageszeit sich ändern würden – oder wenn, wie in Mozarts »Don Giovanni«, eine Statue, die wir im Scherz ansprechen, plötzlich tatsächlich antwortet. Wir, die wir einmal (in der Kindheit) einsehen mussten, dass Wünschen alleine nicht hilft, leben seither eben im Bewusstsein dieses »Mangels«, und das bedeutet, dass alles, was uns Lust machen kann, unter dieser Bedingung stattfinden muss. Wenn der Mangel plötzlich zu Verschwinden droht und die Welt auf einmal so aussieht, als würde sie unseren Wünschen doch aufs Wort gehorchen, dann sind wir keineswegs angenehm überrascht, sondern erfahren dieses Übermaß an wunschgerechter Realität als äußerst unangenehm – eben als unheimlich im Sinne Freuds.
    In der Kunst, die unter der Bedingung der Liebes-Übertragung zustande kommt, haben wir es somit immer mit einem bestimmten Überschuss zu tun, einem Exzess, der die Ökonomie unseres normalen Lustempfindens bedroht – sowohl wenn wir Kunst produzieren, als auch wenn wir sie rezipieren. Dieser Überschuss erzeugt Angst. Die entscheidende Aufgabe künstlerischer Gestaltung ist somit eine doppelte: Sie besteht darin, erstens diesen Überschuss zu produzieren und ihn

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