Wofür es sich zu leben lohnt
bestimmten Person, fungiert hier als Auslöser, als notwendige Produktionsbedingung.
Freilich müssen Menschen, die professionell Kunst machen, von derart singulären Bedingungen weitgehend unabhängig sein – wenigstens ein Stück weiter als ihre dilettierenden Kollegen, die liebenden Anlasskünstler. Aber auch für die professionellen Kunstschaffenden möchte man sich fragen, ob sie jemals völlig eines solchen Affektmoments und der damit verbundenen Vorstellung einer Adressatenperson entbehren können, auch wenn diese Vorstellung vielleicht mitunter nicht nur eine Einzelperson und eine private Beziehung, sondern eher ein Kollektiv (wie das Publikum) und eine öffentliche Beziehung betrifft. Mit anderen Worten: Möglicherweise zeigt uns das Beispiel der nicht professionellen Künstler nur mit größerer Deutlichkeit eine notwendige Bedingung, die für jegliche künstlerische Produktion gilt: Man muss lieben, um Kunst machen zu können.
2 . Das Nichteigentum
Wir können nun dieses Beispiel zum Anlass nehmen, um einen materialistischen Gedanken hinsichtlich der Produktionsverhältnisse in der Kunst in Betracht zu ziehen:
Die Kunstschaffenden verfügen offenbar von sich aus niemals über die Gesamtheit ihrer Produktionsbedingungen
(genauso, wie nach unserer in der Einleitung formulierten Erkenntnis die Individuen nicht alleine über die Gesamtheit ihrer Lustbedingungen verfügen): Sie mögen die erforderlichen Materialien und Geräte besitzen, die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten; sie mögen auch wissen, wie man neue Ideen generiert. Dennoch aber muss noch etwas hinzukommen, das die Kunstschaffenden nicht steuern können. Es muss jemanden geben, den sie begehren und von dem sie sich vorstellen können, dass er oder sie, als Ausdruck dieses Begehrens, etwas Außergewöhnliches von ihnen sehen möchte. Diverse Mythen – wie zum Beispiel der vom Kuss der Muse – haben diesen Sachverhalt immerhin hellsichtig bezeichnet, wenn sie freilich auch keine theoretische Erklärung für ihn formuliert haben. Da die Liebe allgemein, psychoanalytisch gesprochen, eine Beziehung der Übertragung ist, können wir diesem Sachverhalt nun die folgende theoretische Formulierung geben: Um produzieren zu können, müssen die Kunstschaffenden in einer
Übertragungsbeziehung
stehen. Sie müssen das Gefühl haben, dass jemand bereit ist, sie zu lieben, im Gegenzug für etwas, das von ihnen erwartet wird. Mit Hilfe der psychoanalytischen Theorie können wir den Mythos vom Kuss der Muse reformulieren und ihn als einen berechtigten Hinweis betrachten – nämlich als Hinweis auf die soziale Dimension des Kunstmachens. Künstler ist man nicht aus sich heraus, oder weil man etwa ein Genie wäre; man ist es vielmehr, weil einen etwas Gesellschaftliches überkommt – so, wie ja auch der Genius nicht das Wesen der eigenen Person ist, sondern etwas ihr ganz und gar Fremdes, von dem diese Person allenfalls momentan befallen werden kann wie von einem Dämon – auch das hat der Mythos eigentlich sehr korrekt formuliert (s. dazu Agamben 2005 : 8 f.).
Ohne diese Übertragungsbeziehung und ohne den aus ihr resultierenden Affekt können die Kunstschaffenden nicht produzieren. Und diese Bedingung können sie nicht selbst, von sich aus erzeugen. Wir stoßen hier auf ein erstes Moment von Unverfügbarkeit, oder von
Nichteigentum
innerhalb der Kunstproduktion.
Ein zweites, verwandtes Moment hat der französische Soziologe Marcel Mauss in seinem Aufsatz über die Gabe hervorgehoben. Es verdient gleichermaßen Interesse, denn es betrifft wieder etwas, das für die Kunst typisch ist: Mauss hat darauf hingewiesen, dass man eigentlich nur etwas Unbrauchbares verschenken kann (s. Mauss [ 1925 ]: 16 ). Natürlich gibt es hier Abstufungen, und wir schenken schon einmal vielleicht jemandem ein Hemd; aber wenn, dann vielleicht nur ein ganz besonderes, glamouröses, das er nicht jeden Tag, sondern nur zu bestimmten Anlässen wie Partys tragen kann. So gibt es hier in den rohesten Praktiken des Schenkens Grenzen des Anstands, die man nicht verletzen darf. Ich kann nicht meinem Freund Otto sagen: »Otto, du bist doch so ein armer Kerl. Jetzt ist Weihnachten. Weißt du was, ich schenke dir die Miete für Januar.« Das geht nicht. Es muss ein Minimum an Unbrauchbarkeit gewahrt bleiben, damit das Geschenk annehmbar ist.
Wir beobachten somit, wie hier, mitten in der Alltagspraxis, so etwas wie
Abstraktion
entsteht – das heißt: die für Kunstwerke
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