Wohin der Wind uns trägt
denn das heißt, dass es für uns Hoffnung gibt. Du hast alles erreicht, was du wolltest, Jo, und ich bewundere dich wirklich. Du hast Pferde gezüchtet und ausgebildet und Rennen gewonnen und bist zur Nationalheldin geworden. Und nun, mein Schatz, möchte ich, dass du mit mir nach Hause kommst, nach England, um meine Frau zu werden. Nach den Ereignissen der letzten Zeit und meinem internationalen Erfolg steht uns die ganze Welt offen. Das habe ich mir immer gewünscht, mein Liebling, und ich möchte, dass du an meiner Seite bist. Alle sollen wissen, dass ich meinen Erfolg dir verdanke und deine Schönheit im Austernfischer sichtbar wird. Willst du mich heiraten, wie wir es geplant haben?«, fragte er drängend.
Jo betrachtete den Mann, den sie so lange verzweifelt geliebt hatte, und wurde sehr traurig. Die leise Stimme, die sie schon seit der Taxifahrt am Nachmittag plagte, wurde immer lauter. Sie konnte kaum denken, zog ihre Hand zurück, trank einen Schluck Champagner und wischte sich die Handflächen an der Leinenserviette ab. Panik stieg in ihr hoch.
»Ich liebe dich, Simon, und auf eine Weise werde dich immer lieben«, begann sie.
»Das weiß ich, mein Schatz. Sag nur, dass du mich heiraten wirst«, fiel Simon ihr, erschrocken über die plötzlich angespannte Stimmung, ins Wort.
»Hör mir bitte zu.«
Sie musterte ihn, voll Bedauern, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte. Warum konnte er nicht verstehen, wie viel ihr die Pferde bedeuteten? Er hätte doch nur zu sagen brauchen, dass er ihr nie wegnehmen würde, was sie sich so mühsam aufgebaut hatte. Was hinderte ihn daran, sein Versprechen zu halten, er werde sie heiraten und nach ein paar Jahren mit ihr in Australien leben, damit ihr gemeinsamer Traum wahr wurde? Aber nein. Er hatte sich überhaupt nicht verändert und war noch immer der Simon, der nicht begreifen konnte, warum sie um drei Uhr morgens aufstand, um sich in einer Männerwelt Erfolg und Anerkennung zu erkämpfen. Er sah einfach nicht ein, dass das Züchten und Ausbilden von Pferden für sie so lebensnotwendig war wie das Atmen. Offenbar blieb ihr nichts anderes übrig, als sich der bitteren Wahrheit zu stellen. Der Mann, den sie so sehr geliebt und dem sie Zugang zu ihrem Innersten gewährt hatte, verstand schlicht und ergreifend nicht, wer sie eigentlich war, so sehr sie sich auch danach sehnen mochte.
Allerdings gab es einen Menschen, bei dem sich das ganz anders verhielt, und wenn sie sich nicht schnell entschied, würde sie den auch noch verlieren.
»Simon, ich liebe dich, und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich über deinen Erfolg freue«, sagte sie und sprang auf. »Ich finde, Der Austernfischer ist der bewegendste Roman, den ich je gelesen habe, und ich werde deinen Aufstieg weiter verfolgen. Allerdings müssen wir das Ende im wirklichen Leben der Erzählung anpassen. Der Austernfischer schildert unsere Liebe bis zur letzten Szene. Es war eine erste Liebe, eine große Liebe, die ich nie vergessen werde, aber … Simon, ich wünsche dir im Leben alles Gute. Es ist uns nicht bestimmt, zusammen zu sein.«
Sie griff nach Tasche und Jacke.
»Ich muss gehen. Ich weiß, dass du das sicher schrecklich unhöflich und seltsam findest, doch ich … da ist jemand …«
Simon war ebenfalls aufgestanden.
»Der Tierarzt! Der Kerl, der auf den Fotos neben dir steht und der diesem Rüpel eine verpasst hat«, rief er mit schmerzerfülltem Blick. »Es ist vorbei mit uns, richtig?«
Jo nickte mit glühenden Wangen.
»Verzeih mir. Es ist besser so. Wirklich, Simon. Eines Tages wirst du es verstehen und wundervolle Geschichten darüber schreiben. Du bist begabt, Simon. Ich werde unsere Liebe nie vergessen, und jetzt muss ich ein Flugzeug erwischen.«
Sie umrundete den Tisch und umarmte ihn, ohne eine Träne zu vergießen. Obwohl ihr sein schmerzerfüllter Blick bis ins Herz ging, wusste sie, dass sie sich richtig entschieden hatte.
»Es tut mir leid. Ich schreibe dir und erkläre dir alles. Vielleicht machst du einen Bestseller daraus.« Sie lächelte liebevoll.
»Ich habe schon vor dieser Reise befürchtet, du könntest mir den Laufpass geben«, sagte Simon, straffte die Schultern und versuchte, den Abschied hinauszuzögern. »Wahrscheinlich war es mir bereits klar, als wir uns vorhin in meinem Zimmer geküsst haben. Ich wollte es nur nicht einsehen.«
Jo musterte ihn erstaunt, während unaufhaltsam die Zeit verstrich.
»Du hast irgendwie abwesend gewirkt«, erklärte Simon.
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